Nach Dammbruch prägen Tod und Verwüstung die Stadt Brumadinho
Bei einem Dammbruch im Januar 2019 in Brasilien wurden über 270 Menschen getötet oder gelten seither als vermisst. Nun beginnt die Aufarbeitung des Unglücks.
Das Wichtigste in Kürze
- Ende Januar 2019 ereignete sich im brasilianischen Dorf Brumadinho ein Dammbruch.
- Über 270 Menschen verloren ihr Leben oder werden seither vermisst.
- Die Stadt beginnt nun mit der Aufarbeitung des Unglücks.
Trauer und Wut begegnen Besuchern gleich am Eingang der brasilianischen Kleinstadt Brumadinho: Zwischen zwei Bäumen ist ein Transparent mit Fotos der Opfer des Staudamm-Unglücks gespannt. «Vale #Mörder» ist auf einem Graffito zu lesen.
Ein Damm des Bergbaukonzerns Vale war am 25. Januar 2019 im Bundesstaat Minas Gerais gebrochen, eine Schlammlawine ergoss sich über Brumadinho. Mehr als 270 Menschen wurden getötet oder gelten seither als vermisst. Wegen des Unglücks soll sich auch der TÜV Süd als zuständiges Prüfunternehmen in Brasilien vor Gericht verantworten.
Kein Grab zum Trauern
Natalia de Oliveiras Schwester Lecilda ist eines der Opfer. De Oliveira zündet eine Kerze an, stellt sie neben ein Bild der Toten und spricht ein Gebet. Ein Grab zum Trauern hat die Familie nicht, Lecildas Leiche wurde noch immer nicht gefunden.
Elf der 270 Opfer sind noch vermisst. «Wir konnten sie nicht einmal in Würde beerdigen», sagt de Oliveira.
Vale war der grösste Arbeitgeber in Brumadinho, Lecilda arbeitete in der Personalabteilung. «Wir wissen, dass sie an jenem Freitag um 12.28 Uhr in der Kantine von Vale war», sagt de Oliveira. Auch den Speisesaal begrub die Lawine giftigen Schlamms unter sich.
Seit dem Unglück hört sich die 48-Jährige immer und immer wieder die WhatsApp-Sprachnachrichten an, die Lecilda ihr jeden Morgen schickte. «Das fühlt sich an, als würde sie immer noch «Hallo» zu mir sagen. Diese Nachrichten sind das einzige, was mir hilft, überhaupt aus dem Bett zu kommen», sagt sie schluchzend.
«Ganze Stadt getroffen»
«Die ganze Stadt wurde getroffen», sagt de Oliveira. «Brumadinho ist klein, jeder hat irgendjemanden verloren. Ich war auf 30 oder 40 Beerdigungen.»
Malvina Firmino Nunes trauert um ihren 35 Jahre alten Sohn Peterson. Mit seinem Tod sei ihr Leben stehen geblieben, sagt die 62-Jährige. Sobald sie von ihrem Kind spricht, beginnt sie zu weinen. Ohne Schlafmittel findet sie nachts keine Ruhe.
Nunes gehört zu den 4000 Angehörigen, denen der Bergbaukonzern eine Entschädigung bezahlt hat. Von den 700'000 Real (rund 162'300 Franken) konnte sie sich ein kleines Haus kaufen.
Aber es geht ihr nicht um Geld. «Das einzige, was ich will, ist Gerechtigkeit», sagt sie. Sie will die Verantwortlichen im Gefängnis sehen.
Anklagen liegen vor
Am Dienstag klagte die Staatsanwaltschaft den früheren Chef von Vale und 15 weitere Verantwortliche wegen Mordes und Umweltzerstörung an. Angeklagt sind auch Mitarbeiter des deutschen Zertifizierungsunternehmens TÜV Süd. Sie hatten den Damm für sicher befunden.
Brumadinho trauert nicht nur um seine Toten. Viele in der Stadt verloren durch die Katastrophe ihre Lebensgrundlage. Zwölf Millionen Kubikmeter giftiger Schlamm haben die Erde und den Fluss Paraopeba verseucht.
«Ich habe jeden Tag gefischt, davon habe ich gelebt», sagt Wenis Alves Rodrigues. «Es gibt immer noch viele Fische, aber wegen der Verschmutzung haben sie uns gesagt, dass wir sie nicht essen dürfen.» Jetzt benutzt er sein Boot nur noch, um Wasserproben für ein Labor zu entnehmen.
«Früher trafen sich hier alle Fischer nach der Arbeit zum Grillieren. Jetzt kommt niemand mehr», sagt er und zeigt auf eine verlassene Bank. Der Boden hier ist schwarz, das sind die Rückstände des Eisenerzabbaus, die durch den Dammbruch in die Landschaft gespült wurden.
Verluste ausgeglichen
Adelson Silva de Oliveira mäht mit seinem Traktor das zwei Meter hohe Unkraut auf seinem Feld. Früher hat er hier Kohl und Mais angebaut, seit einem Jahr liegt das Land brach.
«Mit dem Wasser aus dem Fluss können wir nichts mehr anfangen. Wer würde denn etwas kaufen, das damit bewässert wurde? Niemand!», sagt er.
Bislang zahlte Vale dem Bauern wie etwa 100'000 weiteren Anwohnern monatlich Nothilfe in Höhe von 1000 Real (233 Franken). Das entspricht dem brasilianischen Mindestlohn. Ab nächsten Monat bekommen sie nur noch die Hälfte.
Die Aktien des Bergbaukonzerns verloren nach der Katastrophe ein Viertel ihres Wertes. Ein Jahr später sind die Verluste wieder ausgeglichen.