Israel-Krieg: Darum ist die Solidarität kleiner als mit der Ukraine
«Mich schockiert, dass die Anteilnahme kleiner ist als bei der Ukraine», sagt eine Schweiz-Israelin über den Israel-Krieg. Das beobachtet auch ein Experte.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Solidarität mit Israel ist kleiner als mit der Ukraine, sagt eine Israel-Schweizerin.
- Das beobachtet auch ein Nahost-Experte.
- Seine Erklärung: Unter anderem eine «mächtige» muslimische Gegendarstellung.
Die Hamas hat in Israel ein Blutbad angerichtet: Bei einem Überraschungsangriff am Wochenende hat die radikalislamische Gruppe Hunderte Menschen hingerichtet. Es gibt Berichte über Vergewaltigungen, Geiselnahmen und andere schlimme Misshandlungen.
In der Schweiz zeigt man sich zwar betroffen. So meldete Bundespräsident Alain Berset, er habe dem israelischen Präsidenten mitgeteilt, dass die Schweiz die Hamas-Angriffe «scharf verurteilt». In mehreren Schweizer Städten, etwa in Basel und Zürich, wurde als Zeichen der Solidarität die israelische Flagge gehisst.
Aber: «Die Anteilnahme ist viel kleiner, als damals, als in der Ukraine Krieg ausgebrochen ist», findet Israel-Schweizerin Yael K.* Aus Angst vor antisemitischen Anfeindungen will sie anonym bleiben.
Israel-Schweizerin vermisst Anteilnahme im Israel-Krieg
Was die 28-jährige Bernerin mit israelischen Wurzeln und Familienmitgliedern in der Nähe von Tel Aviv zum Beispiel ärgert: Dass der Bundesrat die Hamas nach wie vor nicht als Terrororganisation einstuft. Auch, wenn darüber diskutiert wird.
«Bei der Ukraine habe ich gesehen, wie die Leute helfen wollten, wie sie Anteil nahmen, ihre Profilbilder änderten. Aber wenn Israel von so etwas betroffen ist, ist das nicht der Fall», kritisiert K. «Ich weiss nicht, wo jetzt diese Anteilnahme und Solidarität ist.»
Dass der Ukraine-Krieg in der Schweiz mehr Betroffenheit ausgelöst hat als der Israel-Krieg, beobachtet auch Nahost-Experte Hans-Lukas Kieser: «Der Unterschied trifft zweifellos zu», sagt er zu Nau.ch.
Experte: «Mächtige muslimische Gegenerzählung» im Israel-Krieg
Doch was steckt dahinter? «Die Erklärung dafür ist einerseits die gefühlte Nähe», vermutet Kieser. Die sei beim Ausbruch des Ukraine-Kriegs mehr vorhanden gewesen. «Vor allem durch die Millionen Flüchtlinge, die nach Mittel- und Westeuropa strömten und konkreter Solidarität bedurften.»
Andererseits: «Es gibt eine mächtige muslimische Gegenerzählung, die die barbarische Gewalt der Hamas nicht voll wahrnehmen will.» Sie zeige sogleich pauschal mit dem Finger auf Israel. «Und sie rückt eine undifferenzierte Geschichte von Unterdrückung in den Vordergrund», so der Wissenschaftler.
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«Richtig ist, das eine zu tun – das Massaker bedingungslos verurteilen – und das andere nicht zu lassen: gerechten Frieden mit den Palästinensern fordern.»
Was Kieser aber auch beobachtet: Die öffentliche Solidarisierung mit Israel sei zwar kleiner als mit der Ukraine, aber grösser als beispielsweise mit Armenien. «Dieses Volk wurde 2020 bis 2023 in viel grösserem Ausmass Opfer eines brutalen aserbaidschanischen Angriffskriegs und ethnischer Säuberungen. Und das, ohne dass die europäische Politik und Öffentlichkeit sich rührte.»
Damit ist der Konflikt um die Region Berg-Karabach gemeint. Völkerrechtlich gehört sie zu Aserbaidschan, es lebten dort bislang aber überwiegend ethnische Armenier. Erst vor kurzem sind über 100'000 Armenier aus der Region nach Armenien geflohen.
*Name geändert