Ukraine Krieg: Angela Merkel verteidigt ihre Russland-Politik
Seit einem halben Jahr ist Angela Merkel Politik-Rentnerin. Bei ihrem ersten grossen öffentlichen Auftritt sind Russland und die Ukraine das dominierende Thema - aber nicht das einzige.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Montag hat sich Angela Merkel erstmals ausführlich zum Ukraine-Krieg geäussert.
- Die Altkanzlerin verteidigte ihre Russland-Politik während ihrer 16-jährigen Amtszeit.
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Russland-Politik Deutschlands während ihrer 16-jährigen Amtszeit vehement verteidigt. Eine Entschuldigung für den von vielen als zu nachsichtig gegenüber der Führung in Moskau kritisierte Kurs lehnte sie in Berlin in ihrem ersten grossen Interview seit dem Ausscheiden aus dem Amt ab.
Merkel: «Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.»
Im Berliner Ensemble bezog Merkel unter grossem Medieninteresse im Gespräch mit dem «Spiegel»-Reporter Alexander Osang Stellung. Osang hatte Merkel mehrfach porträtiert. Es ging vor allem um Russland - Merkel gab aber auch Einblicke in ihr Leben als Kanzlerin ausser Dienst.
Russland und der Ukraine-Krieg
Merkel verurteilte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf. «Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt.» Der Angriff sei von Russlands Seite ein grosser Fehler.
Es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die den Krieg verhindert hätte, sagte Merkel. Es sei nicht gelungen, den Kalten Krieg zu beenden. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sei der Zerfall der Sowjetunion die schlimmste Sache des 20. Jahrhundert gewesen - das habe er ihr gegenüber mehrfach geäussert. Merkel sagte, sie habe entgegnet, für sie sei das ein Glück gewesen.
Merkel räumte ein, dass man der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland 2014 zwar härter hätte begegnen können. Man könne aber auch nicht sagen, dass damals nichts gemacht worden sei. Sie verwies auf den Ausschluss Russlands aus der Gruppe führender Industrienationen (G8) und den Beschluss der Nato, dass jedes Land zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben soll. Sie sei nicht «blauäugig» im Umgang mit Russland gewesen.
Angela Merkel: «Muss mir nichts vorwerfen»
Auch dass sie sich 2008 gegen eine Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe, verteidigte Merkel. Hätte die Nato den beiden Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte Putin schon damals einen «Riesenschaden in der Ukraine anrichten können», sagte sie.
Es sei so, «dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab es zu wenig versucht», sagte Merkel zu der Frage, inwieweit sie dazu beitragen konnte, eine Eskalation mit Russland zu verhindern. «Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine grosse Trauer, dass es nicht gelungen ist.»
Umfrage
Macht Ihnen der Ukraine-Krieg Angst?
Merkel machte aber deutlich, es sei im Interesse Deutschlands, einen «modus vivendi» mit Russland zu finden - so, dass beide Länder koexistieren könnten. Um eine Vermittlung in dem Konflikt sei sie nicht gefragt worden, sagte die ehemalige Kanzlerin. Und: «Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Augenblick etwas nützt.» Es gebe aus ihrer Sicht «wenig zu besprechen».
Wie geht es der Altkanzlerin?
Ihr persönlich gehe es sehr gut, aber die «Zäsur» des russischen Kriegs gegen die Ukraine beschäftige sie sehr, sagte Merkel. Sie sei manchmal bedrückt. Merkel erzählte von langen Wanderungen im Winter an der Ostsee, sie habe viele Hörbücher gehört. Ihr sei nicht langweilig geworden, sie habe die Tage richtig gut rum bekommen. Früher habe sie nur «Termine, Termine, Termine» gehabt.
Ratschläge von der Seitenlinie wolle sie nicht geben, sagte Merkel - ob das 9-Euro-Ticket nun gut sei oder nicht. «Ich bin Bundeskanzlerin a. D.», sagte die 67-Jährige. Sie sei keine «ganz normale Bürgerin». 16 Jahre lang sei alles, was irgendwie von Relevanz gewesen sei, an ihrem Tisch vorbeigekommen. Sie habe sich nie um Verantwortung gedrückt. Sie habe gesagt, dass sie sich erst einmal erholen und Abstand gewinnen wolle.
Sie bekomme viele Einladungen, wolle aber nicht nur Termine abarbeiten. Wenn sie lese, sie mache nur noch «Wohlfühltermine», dann sage sie: «Ja.»