Massentierhaltungsinitiative: Bund setzt 250 Hühner einer Kuh gleich

Bei der Massentierhaltungsinitiative ist der Auslauf der Nutztiere ein zentrales Thema. Die Initianten kritisieren, der Bund rechne die Zahlen mit Tricks schön.

Weisse Legehennen tummeln sich in einem Hühnerstall des Geflügelhofs Dätwyler in Oberwangen im Kanton Thurgau, am 28. Februar 2018. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit dem Verbot der Massentierhaltung sollen alle Tiere genug Auslauf erhalten.
  • Es kursieren diverse Zahlen, wie viele Tiere diesen bereits heute erhalten.
  • Die Initianten finden die Rechentricks des Bundes skandalös.

Mit der Massentierhaltungsinitiative wollen Tierschützer dafür sorgen, dass die «in der Verfassung verankerte Würde des Tieres respektiert wird». Dies sei nötig, da industrielle Grossbetriebe die traditionellen Höfe zunehmend verdrängten und das Tierwohl systematisch missachteten.

Die Massentierhaltungsinitiative richtet sich auch gegen die Tendenz immer grösser werdender Betriebe. - Keystone

Unter anderem verlangt die Massentierhaltungsinitiative, dass Tiere mindestens gemäss den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 gehalten werden. Darin ist unter anderem auch geregelt, dass sämtliche Tiere regelmässigen Auslauf im Freien erhalten sollen und was für jede Tierart im Detail zu beachten ist.

Zahlen-Chaos zu Tieren mit Auslauf

Die Angaben, wie viele Tiere bereits heute Auslauf haben, gehen allerdings weit auseinander. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) schreibt auf seiner Homepage: 78 Prozent der Nutztiere konnten im Jahr 2020 regelmässig nach draussen. Die Initianten hingegen bemängeln, nur 12 Prozent aller Schweizer Tiere stünden jemals auf einer Wiese.

Eine Kuh grast nacht dem Alpaufzug (Alpfahrt) der Familie Inauen auf die Alp Stoffleren, am 14. Mai 2022, in Weissbad. - Keystone

Die Diskrepanz dieser Zahlen beruht auf einer unterschiedlichen Zählweise. Die Initianten zählen nur diejenigen Tiere, die gemäss den Standards des RAUS-Programms (steht für «regelmässiger Auslauf im Freien») gehalten werden. Dabei erhalten Bauern mehr Direktzahlungen, wenn sie ihren Tieren den geforderten Auslauf geben. Von 86 Millionen Nutztieren werden gemäss Sentience 11 Millionen nach RAUS-Standards gehalten – rund 12,7 Prozent also.

Auch dem Bund dient das RAUS-Programm als Rechengrundlage. Allerdings werden dabei die Tiere nicht einzeln gezählt, sondern in sogenannten Grossvieheinheiten (GVE). Dabei ist die Kuh das Mass aller Dinge und gilt als eine GVE. Für eine GVE Mastschweine werden jedoch 6 Tiere benötigt, bei den Legehennen sind es 100 Tiere und Masthühner werden sogar 250 benötigt.

Ist Wohlbefinden einer Kuh mehr Wert als von 249 Hühner?

Laut dieser Berechnung hätten also auf einem Bauernhof mit 249 Masthühnern und einer Kuh mehr als die Hälfte der Tiere Auslauf, wenn nur die Kuh nach draussen kann, erklärt Philipp Ryf, Co-Präsident von Sentience Politics. «Wir finden diese Rechenweise ehrlich gesagt skandalös. Ein Tier ist ein Tier.»

Kampagnenleiter Philipp Ryf spricht während einer Medienkonferenz des JA-Komitees «Raus aus der Massentierhaltung», am 11. Juli 2022, in Bern. - Keystone

Das Rechnen in GVEs mache betriebswirtschaftlich Sinn, wenn es etwa um Futter oder Platz gehe, gibt Ryf zu. «Im Kontext der Frage, wie viele Tiere Auslauf haben, ist das aber völlig absurd.»

Massentierhaltungsinitiative: Bund zählt nicht alle Tiere mit

Doch allein durch diesen Trick lässt sich erst etwa die Hälfte der Differenz erklären. Der Bund zählt die Tierbestände der Schweiz an einem Stichtag. Der Tierbestand für das Jahr 2016 beträgt nach dieser Zählart knapp über 14 Millionen Tiere. Geschlachtet wurden aber 75 Millionen Tiere.

Der enorme Unterschied kommt dadurch zustande, dass Stallplätze teilweise mehrmals nacheinander von mehreren Tieren pro Jahr besetzt werden können, da die Tiere bereits nach wenigen Monaten geschlachtet werden. Bei Mastschweinen geht man von rund 3 sogenannten Umtrieben aus, bei Masthühnern sind es 7 pro Jahr.

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«Auch dieser Trick mit dem Stichtag ist unehrlich», kritisiert der Kampagnenleiter der Massentierhaltungsinitiative. «Mit Annahme der Initiative müssten alle Tiere Auslauf ins Freie erhalten. Damit würden die 88 Prozent aller Tiere, die heute ihr kurzes Leben fristen müssen, ohne jemals den Himmel zu sehen, allesamt Zugang zu einer Weide erhalten.»