Professor sieht in Winter-Strommangel reale Gefahr
Professor Peter Hettich erklärt im Interview, weshalb sich eine Strommangellage schon lange abzeichnete und welche Möglichkeiten der Schweiz bleiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Winter könnte künftig der Strom in der Schweiz knapp werden.
- Experte Peter Hettich erklärt im Interview die Hintergründe.
Die Schweiz produziert zwar genügend Strom, um den Eigenverbrauch abzudecken. Doch die Stromerzeugung läuft im Sommer auf Hochtouren, im Winter hingegen sind wir auf Importe angewiesen.
Ein neues EU-Gesetz könnte die Schweizer Importkapazitäten bald deutlich einschränken. Es schreibt vor, mindestens 70 Prozent des überflüssigen Stroms für den Handel innerhalb der EU freizuhalten. Im schlimmsten Fall droht hierzulande eine Strom-Mangellage.
Mögliche Konsequenzen für die Bevölkerung: Stillstehende Rolltreppen, Trams, Busse und Züge. Unternehmen wären gezwungen die Produktion herunterzufahren und die Landesversorgung wäre beeinträchtigt.
Peter Hettich, Professor für öffentliches Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen, befasst sich seit Jahren mit diesem Thema. Im Interview mit Nau.ch erklärt er die Hintergründe der Problematik.
Nau.ch: Welche Versäumnisse führten dazu, dass wir überhaupt über eine mögliche Strommangellage sprechen?
Peter Hettich: Die Regierung befasst sich derzeit mit einer möglichen Strommangellage, weil eine technische Verständigung mit der EU über den grenzüberschreitenden Austausch von Strom bislang nicht erzielt werden konnte. Deshalb erscheinen die Importmöglichkeiten der Schweiz für Elektrizität schon relativ kurzfristig, nämlich ab 2025, stark eingeschränkt.
Schon seit längerem zeichnet sich jedoch eine Produktionslücke beim Winterstrom ab, was Massnahmen auch im Bereich der Stromerzeugung notwendig macht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet seit einiger Zeit nur beim Solarstrom flott voran; Photo-Voltaik liefert aber gerade im Winter wenig Strom, sodass der Verlust an steuerbarer Erzeugungskapazität umso schwerer wiegt.
Nau.ch: Wie kann die Schweiz eine Strommangellage am besten verhindern?
Peter Hettich: Kurzfristig sicher durch eine Verständigung mit der EU auf technischer Ebene. Mittel- bis langfristig durch die Gewährleistung einer ausreichenden Erzeugungskapazität.
Was ausreichend ist, ist aus meiner Sicht politisch zu definieren. Dabei ist die installierte Leistung oder die Jahresproduktion nicht allein ausschlaggebend; das Ganze muss im Systemverbund eine ausreichende Versorgungssicherheit herstellen. Weitgehend einig ist man sich dabei, dass eine Autarkie der Schweiz nicht erstrebenswert ist bzw. sehr teuer wäre. Eine gewisse (gegenseitige) Abhängigkeit vom Ausland wird man hinnehmen müssen.
Nau.ch: Braucht die Schweiz das Stromabkommen mit der EU?
Peter Hettich: Das Stromabkommen ist ein Marktzugangsabkommen, welches nur im Verbund mit einem Institutionellen Abkommen zu haben ist. Letzteres ist gescheitert. Selbst wenn wir ein Stromabkommen allein abschliessen könnten, stünden wir noch vor weiteren Hindernissen, so der Umsetzung der umstrittenen vollständigen Marktöffnung. Einzig möglich scheint mir derzeit eine rein technische Verständigung mit der EU.
Nau.ch: Sie haben 2015 den Beitritt zur «Energy Community» als mögliche Alternative genannt. Was würde dies für die Schweiz bedeuten? Steht diese Option der Schweiz weiterhin offen?
Peter Hettich: Diese Option ist kaum noch realistisch. Die Idee wurde auch von niemandem aufgenommen. Die Schweiz muss andere Wege beschreiten bzw. andere Optionen ausloten. Vielleicht kann im Verbund mit den Nachbarländern auf eine technische Verständigung hingewirkt werden.
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Nau.ch: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es in den nächsten Jahren zu einer Mangellage kommen wird?
Peter Hettich: Die von den politischen Akteuren und Behörden skizzierten Gefahren halte ich durchaus für realistisch. Ob das Worst-Case-Szenario eintritt, vermag ich nicht vorherzusagen. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.