Tuchels Triumph - Gruseliger BVB-Auftritt im Geisterspiel
Enttäuschung beim BVB, Genugtuung bei Thomas Tuchel. Der blutleere BVB scheitert im Geisterspiel von Paris erneut im Achtelfinale der Champions League und rettet seinem Ex-Trainer den Job. Sticheleien des Gegners um Enfant terrible Neymar verstärken den Frust.
Das Wichtigste in Kürze
- Thomas Tuchel war mächtig in Fahrt.
Nach dem 2:0 seines Teams im Geisterspiel gegen seinen ehemaligen Club aus Dortmund und dem ersehnten Einzug ins Viertelfinale der Champions League nutzte der Trainer von Paris Saint-Germain jedes Interview zur Abrechnung mit seinen Kritikern.
«Ich sehe all die Schlagzeilen. Tuchel hat sein Team nicht im Griff. Die Spieler machen, was sie wollen, das ist ja ein Zirkusdirektor», kommentierte er mit sichtlicher Genugtuung. Mächtig erregt fügte er an: «Und dann kommt die Statistik, in 28 Spielen nur einmal verloren. Dauernd wird gequatscht. Wie denkt ihr, dass man 28 Mal gewinnt.»
Der 2017 im Unfrieden vom BVB geschiedene Tuchel hatte allen Grund zur Freude: Nach drei Achtelfinal-Knockouts der Pariser in Serie hätte ihn ein neuerlicher Rückschlag wohl den 2018 begonnenen Job gekostet. Weil sein Team zudem die Meisterschaft mit zwölf Punkten anführt und in beiden nationalen Pokal-Wettbewerben im Endspiel steht, darf er vorerst in Ruhe weiter arbeiten. «Manchmal sprechen Spiele für sich», sagte er mit leuchtenden Augen bei Sky. Die Medienkommentare am nächsten Tag waren ihm eine Wohltat. «PSG hat seine Dämonen verscheucht», schrieb die «L'Équipe».
Ähnlich wie der Fussball-Lehrer machten auch seine Profi aus ihrer Schadenfreude keinen Hehl. Nach seinem Treffer (28.) ahmte Neymar die Jubel-Geste des Dortmunders Erling Haaland aus dem Hinspiel (2:1) nach und setzte sich in Buddha-Pose auf den Rasen. Im Anschluss an die Partie liessen sich fast alle PSG-Profis gemeinsam in der Meditationsgeste fotografieren. «Es gehört ein bisschen dazu, dass man sich revanchiert», kommentierte Nationalspieler Thilo Kehrer, «man kann drüber streiten, ob das sein muss. Aber das sind Emotionen, die muss man nicht verstecken.» Schmunzelnd fügte er an: «Als Ex-Schalker den Dortmundern eins auszuwischen, etwas Besseres gibt es nicht.»
Als wäre das neuerliche Achtelfinal-Aus nicht schmerzlich genug, mussten die Borussen auch noch diese Sticheleien der Gegner verkraften. Nach dem gruseligen Auftritt im Geisterspiel ging Michael Zorc mit dem Team hart ins Gericht. «Paris musste sich nicht grossartig anstrengen», befand der Sportdirektor, «wir waren im Vorwärtsgang viel zu harmlos.» Dass die Partie aufgrund der Coronavirus-Epidemie vor leeren Rängen ausgetragen wurde, war nach seiner Einschätzung nicht der Grund für den schwachen Auftritt des Teams vor allem in der ersten Halbzeit: «Ich glaube nicht, dass es mit der Atmosphäre zu tun hatte. Wir hatten einfach zu viele Spieler unter Form.»
Die Rote Karte für Emre Can in der hektischen Schlussphase mit Rudelbildung und einer Rangelei mit Neymar erhöhte bei allen Beteiligten den Frust. «Das ist zu hart, fast schon lächerlich», kommentierte BVB-Coach Lucien Favre die Entscheidung. Ähnlich sah es Zorc: «Wir wissen, dass Neymar ein guter Schauspieler ist. Das hat er heute gezeigt.»
Doch der Bundesliga-Zweite scheiterte weder an der Roten Karte noch an einem übermächtigen Gegner oder an den besonderen Umständen, sondern mal wieder an sich selbst. Wie schon in den Auswärtsspielen der Gruppenphase beim FC Barcelona (1:3) und bei Inter Mailand (0:2) agierte das Team zu zaghaft und blieb weit unter seinen Möglichkeiten. «Jeder kleine Fehler war heute sehr teuer», klagte Favre, der seit seinem Amtsantritt 2018 in Dortmund alle vier Achtelfinal-Partien in der Champions League und im DFB-Pokal verlor.
Der schwache Auftritt in Paris macht wenig Mut für das Revierderby am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen den FC Schalke 04. Immerhin konnten sich die Borussen schon mal daran gewöhnen, wie es ist, in einem leeren Stadion zu spielen. Doch die Vorfreude auf ein weiteres Match ohne Zuschauer hielt sich bei Angreifer Haaland in Grenzen: «Es ist scheisse, so einfach ist das. Ich habe meine Dortmunder Fans vermisst. Um ehrlich zu sein: Ich brauche sie.»