Was tun, wenn Shopping zur Sucht wird?
Die Woche war hart, jetzt ein Stadtbummel! Aber was, wenn das Kaufen zur Gewohnheit wird, die Schränke füllt und das Konto leert? Psychologinnen äussern sich.
Das Wichtigste in Kürze
- Viele Menschen gehen gerne shoppen.
- Wer immer weitermacht, obwohl das Geld ausgegangen ist, ist möglicherweise kaufsüchtig.
- Weitere Symptome sind: Keine Freude an der Ausbeute, steigende Schulden oder Depressionen.
- Ein erster Schritt auf dem Weg raus ist dann, sich finanzielle Grenzen zu setzen.
Entdecken, auswählen, kaufen: Shopping macht vielen Menschen Spass. Und manchmal gibt es Tage, an denen die Ausbeute etwas grösser ausfällt – drei Paar Schuhe, eine Küchenmaschine, ein Mantel, zwei Bücher. Zu viel?
Ist so ein Konsumverhalten schon Ausdruck von Kaufsucht?
«Pauschal lässt sich das nicht sagen, es hängt von der Situation ab», sagt Prof. Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller, Fachärztin für Labormedizin und Psychologische Psychotherapeutin.
Möglicherweise war der Kauf all dieser Dinge notwendig, das Geld dafür da. Oder Defektes musste durch Neues ersetzt werden. In solchen Fällen kann von Kaufsucht eher nicht die Rede sein.
Kontrollverlust ist ein Merkmal
«Eher kritisch sieht es aus, wenn die Kauffrequenz regelmässig sehr hoch ist und es zu einem Kontrollverlust beim Kaufen kommt», sagt die Psychologische Psyhotherapeutin Nadja Tahmassebi, Expertin für Psychosomatik und Verhaltenssüchte.
Wer von Kaufsucht betroffen ist, für den oder die verliert die Ware komplett an Reiz, sobald sie daheim ist. «Zum Teil wird sie noch nicht einmal ausgepackt», sagt Nadja Tahmassebi.
Das Verlangen, ständig Neues zu kaufen, lässt aber trotzdem nicht nach. Obwohl die Käufe erstens nicht notwendig sind und zweitens Betroffene sie sich womöglich nicht leisten können.
Die Folge seien oftmals finanzielle Nöte, wie Astrid Müller sagt.
Der Selbstwert ist bei Betroffenen oft ein Thema
Doch welche Ursachen hat so ein Kaufverhalten? «Minderwertigkeitskomplexe können dahinterstecken, auch Selbstwertprobleme», sagt Astrid Müller.
Denkbar ist auch, dass Betroffene eine grosse materielle Werteorientierung haben. Heisst: Sie setzen stark auf Statussymbole und definieren sich selbst über das, was sie besitzen – und nicht über das, was sie als Person sind.
«Leute, die von Kaufsucht betroffen sind, leiden häufig auch an Depressionen und Angsterkrankungen», sagt Nadja Tahmassebi.
Das Problem: «Lange Zeit wird die Kaufsucht ausgeblendet, das eigene Konsumverhalten kommt nicht auf den Prüfstand», sagt Astrid Müller.
Das Einkaufen passiert, um sich selbst zu belohnen oder zu beruhigen. Regulieren können Betroffene ihr Kaufverhalten nicht. Erst, wenn die negativen Folgen überhand nehmen, merken sie, dass etwas nicht stimmt. Etwa, wenn sich Schulden anhäufen.
Wege aus dem problematischen Kaufverhalten
Wer Anzeichen für problematisches Kaufverhalten bei sich selbst entdeckt, kann sich in einem ersten Schritt finanzielle Grenzen auferlegen. «Dazu gehört etwa, sich genau einzuteilen, wie viel Geld man für was ausgeben kann», sagt Nadja Tahmassebi.
Ein bestimmtes Budget für Kleidung festlegen, eines für Kosmetika und so weiter.
Zusätzlich sollte man sich selbst die Option nehmen, das Konto zu überziehen und das mit der Bank vereinbaren.
Eine weitere Strategie ist, nur noch mit Bargeld zu bezahlen und Kreditkarten der Bank zurückzugeben.
Eine Option bei Anzeichen von Kaufsucht ist auch diese: «Betroffene erstellen selbst regelmässig ein Kaufprotokoll und dokumentieren, für was genau sie wie viel Geld ausgeben», sagt Astrid Müller.
Zudem können sie zu Hause regelmässig Schränke öffnen, um sich vor Augen zu führen, dass sie genug Kleidung haben und gar nichts Neues benötigen.
In der Therapie geht es um Alternativen zum Shoppen
Hilft dies alles nicht weiter, bietet sich eine Psychotherapie an. Das kann eine Verhaltenstherapie sein, zu der Analysen des eigenen Verhaltens gehören, wodurch man den Auslösern für exzessives Kaufverhalten auf die Spur kommen kann.
Stellt sich dabei heraus, dass das Kaufen die Funktion einer Belohnung hat, kann man Alternativen finden. «Das ist oftmals ein schwieriger Prozess», erklärt Astrid Müller. Denn es geht darum, etwas zu finden, was ähnliche Hochgefühle wie das Kaufen auslöst.
Vielleicht kann ein heisses Bad künftig eine Belohnung nach einem stressigen Tag sein. Ob das aber in der Praxis tatsächlich funktioniert, ist von Fall zu Fall verschieden.
«Letztendlich geht es vor allem um Verzicht – und das ist das Schwere», betont Astrid Müller.
Insgesamt schaffen es Betroffene dank therapeutischer Hilfe häufig, ihre Kaufsucht in den Griff zu bekommen. Wie lange das so bleibt, ist aber ungewiss. «Zu Rückfällen kann es immer wieder kommen», sagt Nadja Tahmassebi.
Wenn Angehörige kaufsüchtig sind
Was, wenn man beim Vater oder der guten Freudin eine Kaufsucht vermutet? Dann sollte man sich nicht scheuen, das Thema anzusprechen, «wertschätzend und respektvoll», wie Astrid Müller betont.
So kann man den betroffenen Angehörigen ermuntern, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Das kann etwa eine Fachstelle für Suchthilfe sein, die Beratung bei Verhaltenssüchten anbietet. Niedrigschwellig können Online-Beratungen sein, wie sie zum Beispiel der Deutsche Caritasverband anbietet.