«Poly-Beziehungen sind ein Zeichen von Reife!»
«Warum lassen sich viele Personen in eine Beziehungsform pressen, die nicht ihren Wünschen entspricht?», fragt unsere Kolumnistin Verena Brunschweiger.
Das Wichtigste in Kürze
- Bisexuellen Personen hafte das Stigma der Unreife an, findet unsere Kolumnistin.
- Und fragt: Warum sich selbst und andere be- oder einschränken?
- Eine Kolumne von Verena E. Brunschweiger.
Bisexuellen Menschen wird oft unterstellt, sie wären zwischen Homo- und Heterosexualität hin- und hergerissen. Oder sogar zerrissen.
Das stimmt genauso wenig wie das Klischee, polyamor Lebende (Personen, die mehrere Partner lieben) hätten zahlreiche wechselnde Sexualpartner (Promiskuität). Und sie seien einfach nicht fähig zur Monogamie (zwei Menschen leben miteinander in einer geschlossenen Partnerschaft).
Muss man dazusagen, dass vor allem Frauen mit diesen Stereotypen konfrontiert werden? Denn: «Rufschädigende Gerüchte» treffen ja traditionell Frauen ziemlich häufig.
«Man kann es nur falsch machen»
Gerade wenn man den Nachnamen wechselt, weil man (erneut) heiratet oder sich scheiden lässt, evoziert dies in erstaunlich vielen Fällen mehr als nur ein amüsiertes Grinsen.
Auch Frauen, die jedes Wochenende jemand anderen abschleppen, werden natürlich ebenfalls diffamiert. Man kann es nur falsch machen, so oder so.
Vielleicht verliebe ich mich ja in eine Frau?
Das ganze Leben lang soll man als Mädchen oder Frau auf irgendwas verzichten. Zugunsten einer normierten Passform, in die man sich bitteschön zwängen soll.
Das fällt einem früh auf, wenn man als Teenager noch Jungfrau oder Single ist. Und dann gefragt wird, wie man sich den Mann seiner Träume denn so vorstelle. Ich dachte mir immer, wieso den Mann? Vielleicht verliebe ich mich ja in eine Frau?
Schon 1980 schrieb Adrienne Rich über die Zwangsheterosexualität. Wir finden sie auch bei Monique Wittig. Es gibt genügend Theorien, die besagen, dass jeder Mensch grundsätzlich bisexuell geboren wird.
Sexualität ist «fluid»
Durch Erziehung wird einem das in der Regel aber erfolgreich abtrainiert. Die gesamte Normsozialisation in unserer ach so modernen westlichen Welt läuft auf die Stabilisierung eines konservativen Modells hinaus.
Dabei macht das Konzept eines Kontinuums viel mehr Sinn. Auf einer Skala von eins (= hundert Prozent homosexuell) bis zehn (= hundert Prozent heterosexuell) befinden sich die meisten Leute irgendwo dazwischen. Denn: Unsere Sexualität ist «fluid»!
Männer seien bindungsscheu
Allen Schubladendenkern passt das natürlich nicht in den Kram. Weswegen eine rigide Dichotomie her muss: Entweder, oder! Ja, oder nein!
Wenn das nicht reicht, belegt man polyamor lebende Frauen mit dem Verdikt Nymphomanie, während man bei Männern etwas toleranter ist und ihnen unterstellt, sie wären bindungsscheu und würden einfach jedem Rock nachlaufen (wollen).
Frauen geben häufig an, dass ein Grund für eine Poly-Beziehung schlicht darin liegt, dass sie sich verliebt haben.
Bisexuelle Menschen haben leider oft Angst, als nicht monogam rüberzukommen. Nämlich wenn sie zugeben, sich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen zu fühlen.
Eine Art Prostituierte
Für (konservative) Heteros war ich eine Art Prostituierte, als ich verlautbaren liess, auch schon mit Frauen im Bett gewesen zu sein. Und mehr als nur eine Frau, die sich zuvor unbefangen in der Umkleide aufgehalten hatte, achtete von da an peinlichst darauf, stets mindestens Unterwäsche zu tragen, wenn ich in der Nähe war.
Diesen erbärmlichen Befund bestätigen viele männliche Homosexuelle, die nach wie vor im Sport teilweise so gemobbt werden, dass sie sich lieber gleich gar nicht outen.
Homoerotische Spielchen mit Kumpels
Zudem haftet einem als bisexueller Person das Stigma der Unreife an. Sich mit dem eigenen Geschlecht ein bisschen auszuprobieren, als Mädchen auch mal mit einer engen Freundin zu knutschen – das gilt als Entwicklungsstufe, die man auf dem Weg zur braven Mutter hinter sich zu lassen hat.
Bei Männern ist es nicht unähnlich. Viele haben als Teenager homoerotische Spielchen mit den Kumpels veranstaltet, die manchen als Erwachsenen peinlich sind, anderen nicht.
Nicht umsonst gibt es Bücher wie «Gay Sex between Straight Men». Von mittelalterlichen Ritterturnieren bis zum modernen Mannschafts- und Kontaktsport gibt es kulturwissenschaftliche Untersuchungen, inwiefern homoerotische Komponenten eine Rolle spielen und wie sie sublimiert werden.
Ein Zeichen von Reife
Dabei ist eine fluidere Art der Sexualität oder die Bereitschaft, eine Poly-Beziehung auszuprobieren, doch gerade ein Zeichen von Reife.
Warum sich selbst und andere be- oder einschränken? Das Thema ist so alt wie die Menschheit. Es existiert nicht erst, seit sich Hollywood-Stars als pansexuell outen oder bezeichnen.
Das Leben schwer machen
Gerade konservative Kleinfamilien, die aus Vater, Mutter und Kindern bestehen, tendieren dazu, eine vom Üblichen abweichend erlebte Sexualität abzuwerten. Und geben alles, um den Personen, die diese ausleben, das Leben schwer zu machen.
Jede(r) hat schon mal eine Mutter gesehen, die ihr Kind an der Hand nimmt und es von einem schwulen oder lesbischen Paar wegzieht.
Warum lassen sich zahlreiche Personen in eine mono-normative Beziehungsform pressen, die nicht ihren Wünschen entspricht? Druck von aussen, Angst vor Sanktionen sind oft zwei der Gründe, sagt Deborah Anapol, eine leider bereits verstorbene Expertin auf diesem Gebiet.
Polyamore Beziehungen: Über Hälfte der Frauen ist bisexuell
Des Weiteren führt sie aus, dass Persönlichkeiten, die polyamore Beziehungen führen, meist einen höheren Bildungsstand und allgemein eine höhere Intelligenz aufweisen. Und dass sie wenig mit Religion am Hut haben – und sich selbst öfter als bisexuell bezeichnen.
Dass sie oft und persönlich bereits wegen ihres Lebensstils diskriminiert wurden, gaben sie ebenfalls an.
Gerade bisexuelle Frauen spielten von den Anfängen der Polyamorie bis heute eine besonders signifikante Rolle. Und über die Hälfte der Frauen in polyamoren Beziehungen ist bisexuell.
Es wäre schön, wenn noch mehr Menschen offen dazu stünden, bisexuell oder polyamor zu leben.
Da es ja nicht nur einem selbst hilft, sondern auch andere ermutigt, ihr Comingout zu haben. Und zudem die Akzeptanz von Nicht-Mainstream-Sexualitäten und -lebensstilen fördert.
Zur Person: Dr. Verena E. Brunschweiger, Autorin, Aktivistin und Feministin, studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Regensburg. 2019 schlug ihr Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» ein und errang internationale Beachtung.