Damien Brunner – «Zug war Rock’n’Roll auf und neben dem Eis»
Im grossen SLAPSHOT-Abschiedsinterview spricht der ehemalige Liga-Topskorer Damien Brunner über seine NHL-Jahre und die Beziehung zu Antti Törmänen.

SLAPSHOT: Damien Brunner, wie lebt es sich als zurückgetretener Athlet?
Damien Brunner: Damien Brunner: Sehr entspannt. Es ist ein schönes Gefühl. Die ganze Grundanspannung ist weg. Was das Eishockey angeht, kann, will und muss ich gar nichts mehr. Das empfinde ich als Erleichterung.
SLAPSHOT: Machte Ihnen die Erwartungshaltung zuvor zu schaffen?
Brunner: In gewisser Weise schon. Ich selbst habe mich immer an meinen Bestleistungen gemessen. Die grösste Erwartungshaltung kam von mir selbst.
Speziell während meiner Zeit in Zug konnte ich fast nach Belieben schalten und walten. Es war eine wunderbare Zeit.

Mit Leichtigkeit, Gradlinigkeit und sehr hoher Pace traf ich intuitiv praktisch immer die richtige Entscheidung und war extrem produktiv. Aber für mich selbst habe ich in dieser Zeit einen Standard gesetzt, der nicht gesund war.
SLAPSHOT: Es gab doch auch in Biel und Lugano Abende, an denen man Sie mit der Leichtigkeit der Zuger Tage übers Eis fliegen sah…
Brunner: Das war vielleicht für die Zuschauer und die Medien so. Obwohl ich weiterhin produktiv war und wir in Biel wunderschönes Eishockey zelebrierten, fehlte mir die Leichtigkeit alter Tage.
Die letzten zwei Jahre war ich nicht mehr der gleiche Spieler. Gewisse Bewegungen habe ich nicht mehr hingekriegt und mir fehlte die Spritzigkeit. Der Kopf und die Intuition waren noch da, aber der Körper konnte nicht mehr ausführen, was ich wollte.
Mit Luca Cunti hatte ich in den letzten Jahren den perfekten Center. An schwierigen Abenden konnte ich mich neben ihm oft auf den leeren Raum und das Spiel ohne Scheibe konzentrieren.
SLAPSHOT: Blicken wir weiter zurück. Wie konnte es eigentlich passieren, dass man Sie in Kloten derart verkannte? Mit ihrer Technik und so viel Spielwitz wären Sie für das Klotener Champagnerhockey jener Tage doch prädestiniert gewesen.
Brunner: Da fragen Sie den Falschen. Ich habe Kloten viel zu verdanken. Mein Juniorencoach Mirek Hybler war überragend, er war ein Segen für eine ganze Generation.

Bei den Profis hatte ich unter Eldebrink und Hollenstein ein sehr gutes erstes Jahr. Aber dann spielte ich immer weniger. Also hat sich mein Agent um einen Wechsel bemüht. Und so bin ich in Zug gelandet.
SLAPSHOT: Mit dem Coach Doug Shedden verstanden Sie sich auf Anhieb.
Brunner: Absolut. Er gab mir so viel Vertrauen. Und sagte: Ich erwarte von dir 30 Tore. Ich dachte: Wow, so etwas hat mir noch nie jemand zugetraut.
Es waren grossartige Jahre. Zug war Rock’n’Roll auf und neben dem Eis. Die wohl unbeschwerteste und schönste Zeit meiner Karriere. Eine Garderobe voller verrückter und lustiger Typen.
Manchmal sind wir nach Auswärtsspielen mit dem Car direkt vor den Nachtclub in Luzern gefahren. An der «Zugermesse» gab es Beschwerdeanrufe an den Klub, weil Spieler ein bisschen gar ausschweifend feierten.
Aber Shedden hat das wenig beeindruckt, er sagte immer: So lange die Leistung stimmt, dürfen die Jungs auch Spass haben.
SLAPSHOT: Zu den Höhepunkten der EVZ-Ära gehören die Lockout-Monate 2012/13, als dank Ihnen Henrik Zetterberg den Weg nach Zug fand.
Brunner: Ich hatte ja schon in Detroit unterschrieben und habe bei meinem ersten Aufenthalt vier Tage bei im gewohnt, also schrieb ich ihm dann irgendwann einfach: «Hey, wir könnten deine Hilfe gebrauchen!»
Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass er tatsächlich kommt. Aber es ging dann plötzlich sehr schnell. Ein Weltklasse-Spieler, klar, aber auch einfach ein sehr feiner Typ. Er war nicht nur für Zug, sondern für die ganze Liga eine enorme Bereicherung.

Eine Anekdote aus jenem Jahr entstand beim Wichteln vor Weihnachten: Zetterberg war einer der ersten, der immer mit dieser «Blackroll» trainiert hat. Sein Geschenk war ein Fotoshooting – wie sich alle Spieler heimlich mit seiner Rolle ablichten liessen.
Sauna, Dusche, zu Hause im Bett, beim Skifahren oder ein anderer Nackt eingeölt im Kraftraum, alles war dabei. Es gab in diesem Team immer wieder lustige Pranks.
SLAPSHOT: Welche denn?
Brunner: Lindemann und Zetterberg trugen einen Kleinkrieg aus. Wöchentlich sorgten sie für Lacher. Vor dem Ende des Lockouts schraubte Zetterberg beim Auto von Lindemann die Nummernschilder ab. Er nahm sie mit nach Detroit.
Da «Gigi» ohne Nummernschild das Zweitauto nicht nutzen konnte, musste er neue Schilder bestellen. Die kamen ungefähr zeitgleich mit den zurückgesendeten Schildern aus Detroit mit einem eingerahmten Bild von Zetterbergs Ferrari mit den Schweizer Kennzeichen.
SLAPSHOT: Nach dem Ende des Lockouts debütierten Sie im Januar 2013 in der NHL.
Brunner: Es war surreal. Aber es ging alles so schnell, dass ich gar nicht gross ins Grübeln geriet. Ich realisierte rasch, dass ich mit dem Niveau dort klarkomme. Durch die verkürzte Saison spielten wir fast jeden zweiten Abend.

Ich hatte kaum Zeit, zu verarbeiten, was da gerade geschieht. Und geniessen konnte ich es auch kaum. Rückblickend bleiben wunderschöne Momente und Emotionen, auf die ich unglaublich Stolz bin.
SLAPSHOT: Wieso entschieden Sie sich für Detroit?
Brunner: Ich spielte 2012 eine gute WM. Wahrscheinlich meine beste. Detroit scheiterte damals in der ersten Playoff-Runde, deshalb waren der GM Ken Holland und der Trainer Mike Babcock in Helsinki.
Sie sahen mich spielen und bemühten sich dann sehr. Das hat mir gefallen. Ich sprach an der WM auch mit Steve Yzerman, der damals GM in Tampa war. War schon crazy alles. Yzerman persönlich anzurufen um abzusagen: Das kostete mich eine schlaflose Nacht.
SLAPSHOT: Wie haben Sie Detroit erlebt?
Brunner: Die Stadt hatte damals nicht den besten Ruf. Aber ich habe davon wenig mitgekriegt. Bis mich Schweizer Journalisten besuchten und der Hotelportier diese zusammenstauchte mit der Frage, ob sie eigentlich nicht ganz dicht seien, in dieser Gegend nachts alleine herumzulaufen.
Sportlich hatte ich eine sehr gute Zeit. Und das Leben war unbeschwert. Ich lebte in einer College-Stadt in der Nähe. Und als NHL-Profi fehlt’s dir ja wirklich an nichts.
SLAPSHOT: Trotzdem verlängerten Sie den Vertrag nicht.
Brunner: Rückblickend war das der falsche Entscheid. In einer sehr entscheidenden Phase hatte ich den Kopf nicht bei der Sache. Ich war nach der Saison komplett ausgelaugt.

Nach knapp 100 Partien in den Knochen, dachte ich an vieles, nur nicht an Eishockey und Vertragsverhandlungen. Durch die verlängerte Saison blieb mir nur wenig Zeit. Wohl nicht optimal beraten, traf ich die falsche Entscheidung.
SLAPSHOT: Danach schlossen Sie sich New Jersey an.
Brunner: Ich hatte spät im Sommer zwei Optionen, Russland oder ein Try-Out-Vertrag in New Jersey. Ich entschied mich für die Devils, dort habe ich nach Ankunft zwei meiner besten Spiele überhaupt gezeigt und Lou Lamoriello legte mir nach nur einer Woche den Vertrag auf den Tisch.
SLAPSHOT: Im zweiten Jahr lösten Sie diesen mitten in der Saison auf.
Brunner: Ich konnte nicht mehr. Ich war in einer schlechten Verfassung und wollte nur noch nach Hause.
SLAPSHOT: Aber das Glück fanden Sie in Lugano auch nicht.
Brunner: Mit Lugano verbinde ich viele schöne Emotionen. Die Stimmung bei den Derbies ist einzigartig. Und eine ausverkaufte Resega an einem hitzigen Playoff-Abend ist das beste, lauteste und emotionalste Stadion der Schweiz.
Die Kehrseite war meine Gesundheit und dass ich mit der Kultur nicht klar kam. Wir hatten zu meiner Zeit eine fantastische Mannschaft, fanden aber zu wenig Ruhe, Balance und Vertrauen, um stabil gute Leistungen zu erbringen.
Nach jeder Niederlage wurden Schuldige gesucht, statt zusammenzustehen. Auch habe ich in meiner Karriere sonst nie erlebt, dass beim kleinsten Problem der Trainer schuld sein soll.
SLAPSHOT: Und trotzdem standen Sie in zwei Finals.
Brunner: Das stimmt. 2016 gewann Lugano nach zehn Jahren wieder eine Playoffserie. Das Feuer, die Hoffnung und Leidenschaft, die wir nach Lugano zurückbrachten, waren einzigartig.
Obwohl wir einen verdienten Meister in Bern fanden, bleiben mir diverse verrückte Playoff-Abende in bester Erinnerung. 2018 verpassten wir die wohl beste Chance, Meister zu werden.

Im letzten Spiel vor den Playoffs verletzten sich Chiesa, Bürgler und ich innerhalb weniger Minuten schwer. Und trotzdem siegte Zürich im Final erst in der Belle.
SLAPSHOT: War der Wechsel nach Biel 2018 eine Erlösung?
Brunner: Schon. Es war eine Rückkehr zu mir selbst. Ich wurde dort so herzlich aufgenommen, die Atmosphäre war sehr familiär und angenehm. Es herrschte Ruhe und Vertrauen.
Vom Verwaltungsrat, über den CEO und GM bis in unsere Garderobe kam nie Hektik auf. Ich fand mich auf Anhieb zurecht und konnte mich in einem lauforientierten offensiven Hockey noch einmal voll entfalten.
SLAPSHOT: Auch dank Antti Törmänen.
Brunner: Ich mag Antti enorm. Nicht nur als Coach, sondern auch als Mensch. Keiner verstand es so gut wie er, zwanzig Egos in einer Garderobe zu befriedigen. Unter ihm zelebrierten wir das schönste Eishockey der Liga.
SLAPSHOT: Als Sie zurücktraten, sagte Törmänen öffentlich, dass er sich um Sie nie habe sorgen müssen. Er habe gewusst, dass Sie «die Mona Lisa schon malen» würden, und zwar eher früher als später.
Brunner: Sehen Sie, Antti hat mich verstanden (lacht).
SLAPSHOT: Gemeinsam erreichten Sie 2023 den Playoff-Final. Aber Spiel 7 gegen Servette verpassten Sie verletzt. Der bitterste Moment ihrer Karriere?
Brunner: Auf jeden Fall. Mit einer Niederlage auf dem Eis kann ich umgehen, dann war der Gegner halt einfach besser. Aber zuschauen zu müssen, das war schon hart.

Doch es war unmöglich, zu spielen, keine Chance. Mein Rücken war kaputt, ein Quervorsatz des Lendenwirbels war gebrochen. Selbst vollgepumpt mit Tramadol konnte ich kaum gehen.
SLAPSHOT: Verletzungen warfen Sie immer wieder zurück. Wie sehr haderten Sie damit?
Brunner: Eigentlich nicht so sehr. Der Frust wich immer praktisch sofort der Motivation, mich zurück zu kämpfen.
Man darf schon nicht vergessen: Ich habe mein Leben lang davon geträumt, Hockey-Profi zu werden. Dieser Sport hat mir so viele schöne Momente gegeben, so viel Glücksgefühl. All die Reha-Phasen waren das wert, das ist überhaupt keine Frage.
SLAPSHOT: Also kein Selbstmitleid in Form der Frage: Warum immer ich?
Brunner: Nein. Mir ist völlig bewusst, wie privilegiert ich als Profisportler in der Schweiz bin.
SLAPSHOT: Ärgert es Sie, wenn geschrieben wird, Ihre Karriere sei unvollendet, weil Sie nie Meister wurden?
Brunner: Mit 23 stand ich vor einer wichtigen Entscheidung in meiner Karriere. Zum ersten Mal kam Interesse aus der NHL. Ich verzichtete jedoch darauf, weil ich mich noch nicht bereit fühlte.
In den Folgemonaten lagen aus Bern und Zürich lukrative Mehrjahresverträge auf dem Tisch. Ich hatte die Wahl, jedes Jahr um den Titel zu spielen, oder mir unter Shedden den letzten Feinschliff für die NHL zu holen.
Ich entschied mich für Zug. Ich versprach «Sheds» dass ich als erster Schweizer Liga-Topskorer seit Guido Lindemann und MVP der Liga den Schritt nach Nordamerika wagen werde.

Als es in Lugano mit Topmannschaften zweimal knapp nicht reichen wollte, stand ich wieder vor der Qual der Wahl. Ich entschied mich für ein familiäres Umfeld, wo ich mich nach schwierigen Jahren noch einmal entfalten konnte.
Ich erlebte in Biel einer der schönsten Abschnitte meiner ganzen Karriere, obwohl wir knapp am ultimativen Ziel scheiterten, würde ich die sieben Jahre in Biel für nichts auf dieser Welt hergeben. Ich bin mit mir im Reinen. Wie gesagt: ich kann, muss und vor allem will nichts mehr ändern.
SLAPSHOT: Fürchten Sie sich davor, die Emotionen eines Profiathleten allzu stark zu vermissen?
Brunner: Klar, die Garderobe fehlt einem. Das Spiel, die Zuschauer, all die wunderschönen Stadien, die einzigartige Fankultur werden schwer zu ersetzen sein. Aber den Nervenkitzel habe ich schon weiterhin.
Ich bin ein leidenschaftlicher Sportkonsument und schaue zum Beispiel viele NBA und NFL-Partien. Da bin ich einfach Fan, wie alle anderen auch. Und fluche oder juble vor dem TV.
SLAPSHOT: Als Biel im März das letzte Spiel der Saison in Lugano bestritt, reisten Sie ein letztes Mal mit dem Car mit. Wie war das?
Brunner: Ich habe leicht beschwipst so lange mit Törmänen geredet, dass ich den Bus verpasste. Die ganze Mannschaft musste in Bellinzona warten, bis mich Marco Werder, der CEO von Lugano, im Privatauto hin chauffierte (lacht). Es war trotz Niederlage ein cooler Abend, das wird mir bestimmt fehlen.
SLAPSHOT: In den Wochen nach dem Rücktritt halfen Sie bei den Bieler U17-Junioren als Assistenztrainer aus. Wird man Sie irgendwann als Trainer wiedersehen?
Brunner: Keine Ahnung. Die Arbeit mit den Jungs hat mir extrem viel Freude bereitet. Aber ich weiss wirklich nicht, was die nächsten Jahre bringen werden. Nina und ich werden im Juni zum ersten Mal Eltern.

Sollte Nina (eine der besten Beachvolleyballerinnen der Welt, die Red.) sich zu einem Comeback entschliessen, werde ich vor allem zu Hause gebraucht werden. Wir werden in der Region Biel bleiben. Alles andere ist noch offen.
SLAPSHOT: Sie spielten mit Ihrem Bruder Adrian einst selbst Beachvolleyball. Reichte das Talent nicht für eine Karriere?
Brunner: Nein, nein. Wir wollten beide ins Hockey. Ich bin unendlich dankbar, dass das geklappt hat.
Über Damien Brunner
Geboren: 9. März 1986. Grösse: 180 cm. Gewicht: 85 kg. Vereine: EHC Biel-Bienne, HC Lugano, New Jersey Devils, Detroit Red Wings, EV Zug, EHC Kloten, HC Thurgau, EHC Winterthur, EHC Bülach.
Grösster Erfolge: 121 NHL-Spiele (58 Punkte), Liga-Topskorer und MVP 2012/12 mit Zug. 5 WM- und eine Olympia-Teilnahme mit der Schweiz.