Frauen in Mexiko erheben ihre Stimme gegen Femizide
Lateinamerika ist für viele ein gefährliches Pflaster, doch Frauen fühlen sich zwischen Feuerland und Rio Bravo oft wie Freiwild. Zwei besonders brutale Morde haben in Mexiko nun einen Sturm der Empörung ausgelöst.
Das Wichtigste in Kürze
- Fátima wurde geschlagen und vergewaltigt.
Die nackte Leiche des siebenjährigen Mädchens tauchte schliesslich in einer Plastiktüte zwischen Müll und Abfällen wieder auf.
Ingrid Escamilla wurde von ihrem Partner erstochen, ausgeweidet und gehäutet - Fotos der grausam entstellen Leiche der 25-Jährigen tauchten in der Boulevardpresse auf und lösten in Mexiko einen Sturm der Entrüstung aus.
«Wir erheben unsere Stimme dagegen, dass das weiter passiert: dass sie uns ermorden, uns vergewaltigen, uns belästigen», sagt die 16 Jahre alte Schülerin Frida Contreras bei einer Demonstration in Mexiko-Stadt. «Das geschieht jeden Tag, aber es ist nicht normal. Das sollte nicht so sein.»
In einem Park im Viertel Santa María la Ribera im Zentrum der mexikanischen Hauptstadt sind Jugendliche zusammengekommen, um gegen die grassierende Gewalt gegen Frauen in dem lateinamerikanischen Land zu protestieren. Sie führen «Un violador en tu camino» (ein Vergewaltiger auf deinem Weg) auf - eine Performance der chilenischen Gruppe Las Tesis, die in den vergangenen Monaten zur globalen Hymne der Feministinnen wurde.
«Ich glaube, dass unsere Generation ein Bewusstsein für das Problem entwickelt», sagt die Schülerin Michelle Palomino. «Es gibt viele misshandelte Frauen. Mit diesen Protesten wird ihnen vielleicht klar, was in ihrem Leben passiert.»
Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet
Von Argentinien bis Mexiko ist Gewalt gegen Frauen seit Jahrzehnten weit verbreitet. Jetzt erheben in Lateinamerika allerdings immer mehr Frauen die Stimme und fordern ihre Rechte ein. Mit verhüllten Gesichtern und erhobenen Fäusten protestierten zuletzt Hunderte Frauen in Mexiko-Stadt gegen die Morde an Fátima und Ingrid. Auf Transparenten war zu lesen: «Ya basta» (Es reicht) und «Ni una menos» (Nicht eine weniger).
Nach Angaben der Vereinten Nationen befinden sich 14 der 25 Länder mit den höchsten Mordraten an Frauen in Lateinamerika und der Karibik. In den 1990er Jahren wurden in Ciudad Juárez Hunderte Frauen getötet und in der Wüste verscharrt. Die Stadt im Norden von Mexiko wurde zu einem traurigen Symbol für entfesselte Gewalt und Straflosigkeit.
«Die Gewalt gegen Frauen gehört zu dem abscheulichsten Erbe der Region», sagt die Amerika-Direktorin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Erika Guevara-Rosas, der Deutschen Presse-Agentur. Mit 6,8 Femiziden je 100.000 Einwohner führte das mittelamerikanische El Salvador 2018 die grausame Statistik nach Angaben der Beobachtungsstelle für Geschlechtergerechtigkeit der Wirtschaftskommission Cepal an, gefolgt vom Nachbarland Honduras. In absoluten Zahlen liegen Brasilien und Mexiko vorn. Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Region leiden generell unter einer Welle der Gewalt.
Unter dem Eindruck der brutalen Morde an Ingrid und Fátima erhöhten die mexikanischen Parlamentarier in dieser Woche die Höchststrafen für Frauenmord und sexuellen Missbrauch um jeweils fünf Jahre auf 65 beziehungsweise 18 Jahre Haft.
Allerdings bleiben im Land rund 90 Prozent der Taten ungesühnt.
Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl der Morde in Mexiko mit mehr als 35.000 Tötungsdelikten einen neuen Rekord. Die weitaus meisten Opfer sind zwar Männer, aber die Zahl der gezielten Frauenmorde nahm im vergangenen Jahr um zehn Prozent zu. Über 1000 der rund 3800 Morde an Frauen wurden als Femizide eingestuft: Die Opfer wurden aufgrund ihres Geschlechts getötet.
Hinzu kommen Zehntausende weitere Gewalttaten gegen Frauen wie Vergewaltigungen, häusliche Gewalt, Zwangsprostitution und sexuelle Belästigung. «Ich habe sehr viel Angst. Auf der Strasse und in Bus und Bahn», sagt die Schülerin Palomino.
Kulturelle Faktoren, der Einfluss der Kirche, Straflosigkeit und die Ineffizienz der Behörden tragen nach Einschätzung von Amnesty-Regionalchefin Guevara-Rosas zur Gewalt gegen Frauen bei. Mexikos linksnationalistischer Präsident Andrés Manuel López Obrador hat allerdings einen ganz anderen Schuldigen für die Frauenmorde ausgemacht: Die neoliberale Politik seiner Vorgänger habe den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Wertesystem zerstört, sagte er zuletzt, während Demonstrantinnen draussen vor dem Nationalpalast protestierten und die Wände des historischen Gebäudes mit Graffiti besprühten.
«Bei allem Respekt, ich bitte die Feministinnen, die Tore und Wände nicht zu beschmieren», sagte der Staatschef. Für die Frauen ein weiterer Beweis, dass López Obrador, der sich gerne als Advokat der Armen und Unterdrückten stilisiert, das Problem nicht ernst genug nimmt. «Er kümmert sich mehr um Monumente als um uns», riefen die Demonstrantinnen.