Wegen Abtreibungsverbot droht USA eine Staatskrise
In den USA hat der Supreme Court den Weg für das Abtreibungsverbot gelegt. Es kam zu mehreren Protesten in US-Städten. Das Land ist in zwei Lager gespalten.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Freitag hat der Oberste Gerichtshof der USA das Abtreibungsrecht gekippt.
- Im gesamten Land protestierten die Menschen auf der Strasse gegen den Entscheid.
- Das Land ist in zwei Lager gespalten, erklären Experten.
Am Freitag hat der Supreme Court in den USA das Recht auf Abtreibung aufgehoben. Damit ist es nun den einzelnen Bundesstaaten freigestellt, Abtreibungen zu erlauben, sie einzuschränken oder gänzlich zu verbieten.
Das Urteil löste im ganzen Land ein politisches Beben aus. Unzählige Promis aus allen Branchen teilten ihren Frust in den sozialen Medien. Auf dem englischen Glastonbury-Festival widmete Musikerin Olivia Rodrigo dem Obersten Gerichtshof zusammen mit Lily Allen den Song «Fuck You».
Präsident Joe Biden zeigte sich nach dem Entscheid über das Abtreibungsverbot geschockt. In unzähligen US-Städten kam es zu Protesten, Hunderttausende gingen auf die Strassen. Viele Amerikanerinnen fordern nun gar zum Sex-Streik mit den Männern auf.
Gerade in Zeiten vom Amokläufen und Diskussionen über die Waffengesetze wirkt «das Land der unbegrenzten Möglichkeiten» so gespalten wie nie. Doch wie entzweit ist die US-Bevölkerung wirklich? Nau.ch hat bei zwei USA-Experten nachgefragt.
Knappe Mehrheit in konservativen Staaten für Abtreibungsverbot
Für Claudia Brühwiler, Politikwissenschaftlerin an der Universität St. Gallen, ist klar: «Amerika ist seit längerem in vielen Grundfragen in zwei Lager gespalten.»
Bei der Abtreibungsfrage werde gerne vergessen, dass zwar in der Gesamtbevölkerung ein relativ liberales Abtreibungsrecht mehrheitsfähig ist. «Aber in jenen Staaten, die davon nun abrücken, gibt es – wenn auch sehr knappe – Mehrheiten für starke Einschränkungen.»
Es gäbe aber immer wieder Überraschungen. Als jüngstes Beispiel nennt Brühwiler die Einigung im Kongress zur Einschränkung des Waffenrechts und der gesprochenen Mittel zur Prävention. «Ein winziger Schritt zwar, aber immerhin geht er in die richtige Richtung.»
Experte: «Es droht eine Verfassungs- und Staatskrise»
Thomas Greven ist Privatdozent für Politik am John-F.-Kennedy-Institut in Berlin. Er bläst ins selbe Horn. Umfragen zeigten deutlich, dass die Mehrheit der Amerikaner sowohl für die Regulierung des Waffenbesitzes als auch für die Ermöglichung von Abtreibungen sind.
Und weiter: «Der Teufel steckt im Detail, denn man muss sich ja auf Kompromisse einigen. Das nützt denjenigen, die für ‹alles oder nichts› eintreten: vollständige Freiheit des Waffenbesitzes und vollständiges Abtreibungsverbot.»
Die amerikanische Gesellschaft treibe so laut Greven immer weiter auseinander. «Da die Republikaner immer deutlicher zum Bruch demokratischer Regeln bereit sind, droht eine Verfassungs- und Staatskrise, bis hin zu politischer Gewalt», so Greven.