Asyl-Politik: EVP-Chef fordert EU-Staaten zu Einigkeit auf
Morgen beraten die EU-Innenminister über die strittige Reform des EU-Asylsystems. Doch kurz vorher liegen die Positionen weit auseinander – auch innerhalb der Ampel-Koalition.
Das Wichtigste in Kürze
- Kurz vor wichtigen EU-Beratungen über mögliche schärfere Asylregeln hat der Chef der EVP, Martin Weber, die EU-Staaten zur Einigkeit aufgerufen.
Die Länder sollten sich morgen beim Treffen der EU-Innenminister auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen, um die Verhandlungen über eine Reform der Dublin-Regeln und Asylverfahren aufnehmen zu können. Täten sie dies nicht, «wäre das eine Pflichtverletzung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern», sagte Weber der «Rheinischen Post». Die Ampel-Koalition müsse schnell auf eine Lösung der Probleme hinarbeiten, «aber in Wirklichkeit passiert das Gegenteil», sagte der CSU-Politiker.
Baerbock: Grenzverfahren hochproblematisch
Die EU-Innenminister beraten in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU-Aussengrenzen geben soll. Die Bundesregierung hat sich dafür offen gezeigt, will aber durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen.
Entsprechend hatten sich auch Aussenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) geäussert. Baerbock sagte, Grenzverfahren seien hochproblematisch – der EU-Kommissionsvorschlag sei aber die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu einem «geordneten und humanen Verteilungsverfahren» zu kommen.
Ob die Innenministerinnen und Innenminister morgen wirklich eine Positionierung für Verhandlungen mit dem EU-Parlament beschliessen können, war bis zuletzt unklar. Denkbar ist auch, dass die Verhandlungen noch einmal fortgesetzt werden müssen.
Weber: Ausnahme von Minderjährigen ermutigt Schleuser
Zu der Forderung der Grünen und der SPD, Minderjährige zwischen 12 und 17 Jahren von den geplanten Grenzverfahren auszunehmen, erklärte Weber: «So werden Schleuser ermutigt, Familien und jüngere Menschen ins Visier zu nehmen, weil sie de facto eine Garantie haben, in Europa bleiben zu können.» Damit würden Jugendliche «nicht geschützt, sondern verstärkt gefährdet».
Die FDP ist gegen diese Forderung. Sie fürchtet, dass dadurch eine Einigung in Europa gefährdet werden könnte. Auch innerhalb der Grünen gibt es Kritik zur Reform und am Kurs des eigenen Spitzenpersonals.
Auch aus der SPD kam Kritik an dem Reformvorhaben. SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel sagte der «Frankfurter Rundschau», die vergangenen Jahre hätten eindringlich gezeigt, dass Asylzentren an den Aussengrenzen meist nicht den EU-Standards entsprächen. Man könne nicht darauf hoffen, dass EU-weite verpflichtende Asylschnellverfahren an den Aussengrenzen «unseren Verfahrens- und Menschenrechtsstandards entsprechen werden, zumal die Schnellverfahren stets mit einer Inhaftierung von bis zu fast einem halben Jahr einhergehen.»
EU-Abgeordneter: EU-Pläne menschenrechtlich äusserst fragwürdig
Der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt hält die EU-Pläne für grundgesetzwidrig. Die Möglichkeit, Menschen zurückzuführen, bevor ein Gericht über ihre Anträge entschieden habe, sei menschenrechtlich äusserst fragwürdig, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Fragwürdig sei auch, Drittstaaten als sicher anzusehen, wenn sie tatsächlich nur teilweise sicher seien. «Beides wäre ein starker Eingriff in das Asylrecht und vom Grundgesetz und EU-Grundrechten nicht mehr gedeckt.»
Die deutschen Landkreise begrüssten die Pläne dagegen. Es sei richtig, Grenzverfahren an den EU-Aussengrenzen für bestimmte Personengruppen einzuführen und Zentren zu errichten, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. «Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wird, müssen unmittelbar zurückgeführt werden.» Anerkannte Asylsuchende und diejenigen, deren Anträge dort nicht abschliessend bearbeitet werden können, sollten dagegen nach «einem fairen Schlüssel» gleichmässig auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.
ÖVP-Politiker: Nur zu eingeschränkter Solidarität bereit
Der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) erklärte, bei der Verteilung von Flüchtlingen nur zu einer eingeschränkten Solidarität bereit zu sein. «Beim Asylpakt muss berücksichtigt werden, dass Österreich bei den Asylanträgen ausserordentlich belastet ist und nicht weniger belasteten Mitgliedstaaten Solidarität leisten kann. Wir erwarten Solidarität von anderen», sagte er der «Welt».
Hintergrund der EU-Beratungen sind die gestiegenen Migrantenzahlen. Seit Monaten versuchen sehr viele, von Nordafrika über das Mittelmeer Süditalien zu erreichen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Januar mehr als 50.000 Migranten auf Booten nach Italien. In Deutschland wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres gut 100.000 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen, eine Zunahme um rund 78 Prozent.