Ethikerin erklärt: Dürfen Klimaaktivisten fliegen?
Zwei Klebe-Aktivisten lösen mit einer Flugreise nach Thailand einen Shitstorm aus. Eine Expertin mahnt jedoch dazu, nicht so «enthemmt zu verurteilen».
Das Wichtigste in Kürze
- Zwei Klebe-Aktivisten der «Letzten Generation» sind nach Thailand in die Ferien geflogen.
- Das löste eine Kritikwelle aus – viele sprechen von «Doppelmoral».
- Dürfen Klimaaktivisten fliegen? Eine Ethikerin ordnet ein.
Zwei deutsche Klimaaktivisten schwänzen einen Gerichtstermin, weil sie in den Ferien sind. Und das einen ganzen Langstreckenflug weit entfernt – in Thailand.
Luisa (22) und Yannick (24) sind Mitglieder bei der Aktivistengruppe «Letzte Generation». Eine Organisation, die immer wieder mit Klebe-Aktionen und Flughafenblockaden für Schlagzeilen sorgt.
Seither werden die Aktivisten von einer heftigen Kritikwelle überrollt, viele sprechen von «Doppelmoral». Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle will deeskalieren. «Man muss aufpassen, dass man andere nicht so enthemmt verurteilt», sagt sie zu Nau.ch.
Sie sieht in beiden Lagern ethisches Fehlverhalten: «Auf der einen Seite haben wir die Klimaaktivisten, die zu zivilem Ungehorsam aufrufen.» Hier müsse man sich fragen, ob alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, ehe man so weit gehe.
«Man nimmt sich die Freiheit heraus, mit den Klebe-Aktionen andere Leute massiv zu beeinträchtigen. Gleichzeitig tut man aber das, wofür man andere kritisiert», sagt sie.
«Auf der anderen Seite werden die Aktivisten von Leuten für ihre Doppelmoral kritisiert, die selbst auch fliegen. Das eigene Verhalten nehmen sie aber kaum unter die Lupe.»
Dürfen Klimaaktivisten überhaupt fliegen?
Zur Frage, ob man als Klimaaktivist fliegen darf, gibt es laut Baumann-Hölzle zwei ethische Bewertungen: die Folgen- und die Pflichtethik.
«Bei der Folgenethik geht es nur um die Folgen einer Handlung.» Ein Beispiel: «Man darf den Rasen nicht betreten, damit er nicht wüst wird. Wenn jetzt aber alle anderen dieses Verbot missachten, dann spielt es keine Rolle mehr, ob ich ihn auch betrete.»
So könnten die beiden Aktivisten argumentieren. Ob sie jetzt auch noch fliegen, spielt aus dieser Perspektive keine Rolle. Die anderen tun es auch, und der Flieger wäre auch ohne sie gestartet.
«Bei der Pflichtethik wiederum kommt es unabhängig von den Folgen darauf an, wie ich mich verhalte.» Ein Beispiel sei hier die Aussage, «Lügen ist immer schlecht». «Wenn wir Fliegen als etwas Schlechtes anschauen, darf man dieser Ansicht nach per se nicht fliegen.»
Aktivisten «müssen Fliegen gut begründen»
Baumann-Hölzle selbst vertritt eine Mischung aus beiden Ansätzen: «Wenn ich sage, Fliegen ist schlecht, und dann fliege ich trotzdem, muss ich das gut begründen. Es ist etwas anderes, wenn man für den Plausch hingeht, als wenn man die Grossmutter besucht.»
Mit ihren Begründungen stossen die Aktivisten aber bislang bei vielen auf Unverständnis. So sagte die «Letzte Generation» zunächst, die beiden seien als Privatleute geflogen, nicht als Aktivisten. Das müsse man unterscheiden.
Dann äusserten sich die beiden selbst und gaben an, wegen des Ukraine-Kriegs nicht den Zug genommen zu haben.