Corona stürzt Indien in die Krise
Das indische Gesundheitsministerium hat 3689 Todesfälle binnen 24 Stunden registriert - ein neuer, trauriger Rekord.
Das Wichtigste in Kürze
- Indien hat die höchste Zahl an täglichen Corona-Todesfällen seit Beginn der Pandemie verzeichnet.
3689 Menschen starben nach Daten des Gesundheitsministeriums vom Sonntag.
Erst am Samstag hatte Indien als weltweit erstes Land mehr als 400.000 Neuinfektionen mit dem Coronavirus an einem einzigen Tag gemeldet. Das Gesundheitssystem in dem südasiatischen Land mit seinen über 1,3 Milliarden Einwohnern ist überfordert, Krankenhäuser und Krematorien sind überfüllt, es mangelt an medizinischem Sauerstoff, Medikamenten und Impfstoff.
«Die Lage ist schrecklich und deprimierend», sagte der deutsche Botschafter in Indien, Walter Lindner, im ZDF-«heute journal» am Samstagabend. «Die Leute ersticken zum Teil in den Autos, weil sie vom einen Krankenhaus zum nächsten fahren. Die ersticken in der Wartereihe, um auf Sauerstoff zu warten.»
Hilfeaufrufe würden in den Sozialen Medien verbreitet - mit der Hoffnung auf ein Krankenhausbett oder Sauerstoff. «Und am nächsten Tag heisst es dann oft: «Leider gestorben, niemand hat uns geholfen».»
Im Januar hatte Indien seine Impf-Kampagne gestartet. Nach einem Plan der Regierung dürfen sich seit Samstag nun alle Erwachsenen gegen das Coronavirus impfen lassen. Mehrere Bundesstaaten berichteten aber, dass ihnen die Impfdosen ausgingen oder bereits ausgegangen seien.
Am Samstag erhielten landesweit 1,6 Millionen Menschen in staatlichen Impfzentren oder Krankenhäusern eine Impfung. Bis Freitag hatten nur die über 45-Jährigen Anspruch auf eine Impfung. Rund zehn Prozent von ihnen erhielten den Angaben zufolge bisher mindestens eine Dosis.
Premierminister Narendra Modi traf am Sonntag Regierungsbeamte und Experten, um über den beispiellosen Anstieg der Corona-Fälle und den Bedarf an medizinischem Sauerstoff und Medikamenten zu beraten. Seit Beginn der Pandemie haben sich in Indien rund 19,5 Millionen Menschen angesteckt, 215.542 sind gestorben. Am Sonntag meldeten die Behörden 392.488 Neuinfektionen binnen eines Tages. Beobachter befürchten eine hohe Dunkelziffer.
Mehrere Länder, darunter Deutschland, die USA, Grossbritannien und Japan, haben Indien Unterstützung zugesagt. Am Samstagabend erreichte eine Maschine der Luftwaffe die Hauptstadt Neu Delhi mit 120 Beatmungsgeräten aus Deutschland. An Bord der Maschine, mit der sonst auch Kanzlerin Angela Merkel fliegt, waren 13 Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten. Sie sollen eine mobile Sauerstoffgewinnungsanlage der Bundeswehr in Indien aufbauen und Personal des örtlichen Roten Kreuzes einweisen.
Die sehr grosse Anlage soll am Mittwoch und Donnerstag mit zwei Transportflugzeugen geliefert werden. Sie macht Aussenluft zu medizinischem, hochprozentigem Sauerstoff, der anschliessend abgefüllt werden kann.
Aus Russland wurde eine erste Charge des Impfstoffs Sputnik V geliefert, der kürzlich in Indien zugelassen worden war. Die Lieferung sei am Samstag in Hyderabad eingetroffen, twitterte der staatliche russische Direktinvestmentfonds RDIF. Angaben zur Menge wurden zunächst nicht gemacht. Russland hat bereits Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung und Medikamente nach Indien geflogen. Aus Frankreich und Belgien kamen medizinisches Gerät und Medikamente.
Indien selbst will die Produktion von Corona-Impfstoffen hochfahren. Medienberichten zufolge sollen bis Juni 100 Millionen Dosen pro Monat statt der aktuellen rund 75 Millionen hergestellt werden. Indien wird oft als «Apotheke der Welt» bezeichnet, da dort eigenen Angaben zufolge rund die Hälfte aller Impfstoffe weltweit hergestellt wird und viele für relativ wenig Geld an ärmere Länder gehen.
Die staatliche indische Bahngesellschaft gab am Sonntag bekannt, 4000 Waggons als temporäre Stationen für Covid-Patienten mit 64.000 Betten bereitzustellen. Die Zeitung «Indian Express» meldete, es gäbe Forderungen nach einem landesweiten Lockdown. Bisher gilt dies nur für einige besonders schwer betroffene Landesteile, etwa Neu Delhi.
Im Ausland wächst derweil die Sorge vor den hohen indischen Fallzahlen und zirkulierenden Varianten des Coronavirus. Die USA und Australien stoppen Reisende aus Indien. In den USA tritt die Massnahme am Dienstag in Kraft, wie aus einer Verfügung von US-Präsident Joe Biden hervorgeht. Nicht mehr einreisen dürfen dann Ausländer, die in den vorangegangen 14 Tagen in Indien waren. Ausgenommen sind US-Bürger, Ausländer mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in den USA, Diplomaten sowie bestimmte andere Personengruppen.
Australische Behörden gingen weiter: Eigene Staatsbürger, die aus Indien einreisen, müssen Medienberichten zufolge mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren oder hohen Geldstrafen von bis zu 66.000 australischen Dollar (rund 42.000 Euro) rechnen. Derzeit warten etwa 9000 Australier in Indien auf ihre Heimreise. Dank strikter Massnahmen ist Australien bisher glimpflich durch die Pandemie gekommen.
Unterdessen wurden in Indien nach Regionalwahlen in mehreren Bundesstaaten am Sonntag Stimmen ausgezählt. Die Wahlen gelten als wichtiger Stimmungstest für Modi und seine hindu-nationalistische Partei (BJP). Besonderes Augenmerk richteten Beobachter auf die Wahl in Westbengalen, einer Hochburg der Opposition gegen Modi. Die BJP führte dort einen engagierten Wahlkampf gegen die amtierende Regierungschefin Mamata Banerjee. Trotz hoher Corona-Zahlen hatten Modi und andere Politiker grosse Kundgebungen im ganzen Bundesstaat abgehalten. Ergebnisse werden am späten Sonntagabend erwartet.