Justizfall in London: Kommt das schottische Referendum?
Ein Unabhängigkeitsreferendum gab es bereits 2014: Damals stimmte eine Mehrheit für die Union mit Grossbritannien. Fall erledigt? Nein, meint Edinburgh – und verweist auf den im Norden verhassten Brexit.
Das Wichtigste in Kürze
- Für die Befürworter einer schottischen Unabhängigkeit könnte es ein historischer Tag werden.
Mit Spannung warten sie heute auf eine Entscheidung des britischen Obersten Gerichts.
Es geht darum, ob das Regionalparlament in Edinburgh ein Referendum über die Loslösung von London beschliessen darf – auch wenn die britische Regierung dagegen ist. Laut Beobachtern ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zugunsten der Nationalisten entscheidet, aber unwahrscheinlich. Dennoch sieht die Politologin Kirsty Hughes alleine darin einen cleveren Schachzug der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon, dass sie den Fall dem Supreme Court vorgelegt hat.
Keine freiwillige Union?
Denn nun gerät die britische Regierung unter Druck. Egal, wie das Gericht entscheidet – für Hughes sind die Unabhängigkeitsbefürworter bereits die Gewinner. Sollte der Supreme Court überraschend das Recht des schottischen Parlaments bejahen, sind die Nationalisten ohnehin schon einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Sturgeon hat für diesen Fall ein Referendum für Oktober 2023 angekündigt. Sollten die Unabhängigkeitsgegner diese Abstimmung boykottieren, würden sie undemokratisch handeln, sagte Hughes der Deutschen Presse-Agentur. Gleiches gelte für den Fall, dass die britische Regierung versuchen würde, das Referendum per Gesetz für illegal zu erklären.
Lehnt das Gericht das Ansinnen ab, könnten die Nationalisten argumentieren, dass es sich beim Vereinigten Königreich – anders als von der britischen Regierung stets betont – nicht um eine freiwillige Union handele. Regierungschefin Sturgeon hat betont, dass sie ein Nein akzeptieren werde, dann aber die nächste britische Parlamentswahl als Quasi-Referendum führen werde. Das sei riskant, aber clever, sagte Hughes. Denn wenn tatsächlich eine Mehrheit der Schotten für Parteien stimmt, die für die Unabhängigkeit eintreten, bedeute dies ein politisches Signal. Der Druck auf London steige.
Endgültige Entscheidung unwahrscheinlich
Am wahrscheinlichsten ist es aber nach Ansicht von Experten, dass der Supreme Court keine endgültige Entscheidung trifft. Die schottische Generalstaatsanwältin Dorothy Bain, die den Antrag im Namen der Regionalregierung gestellt hat, habe das Gericht um ein Urteil in einem hypothetischen Fall gebeten, sagte der Verfassungsrechtler Adam Tomkins. «Nicht nur wurde das Gesetz nicht verabschiedet, es wurde noch nicht einmal offiziell ins schottische Parlament eingebracht», sagte Tomkins der Nachrichtenagentur PA. Der Supreme Court könne also erklären, dass es nichts zu entscheiden gibt.
Falls also kein Urteil ergeht, gilt als möglich, dass die schottische Regierung mit den Stimmen von Sturgeons Schottischer Nationalpartei (SNP) und den Grünen ein Referendumsgesetz durchs Parlament bringt – und abwartet, ob die britische Regierung dann am Supreme Court dagegen klagt. Politologin Hughes sieht aber auch darin einen Vorteil für die Nationalisten. Denn wenn die britische Regierung gegen ein Referendum vorginge, das von einem demokratisch gewählten Parlament beschlossen wurde, wäre dies ein weiteres Zeichen, dass London den Willen der Schotten nicht ernst nehme, sagte Hughes.
Brexit veränderte Ausgangslage
Bei einer ersten Volksabstimmung 2014 hatte sich eine Mehrheit der Schotten für den Verbleib in der Union mit Grossbritannien ausgesprochen. Für London ist die Frage damit langfristig entschieden. Regierungschefin Sturgeon aber argumentiert, dass der Brexit, den die Schotten 2016 deutlich abgelehnt hatten, die Ausgangslage verändert habe. Sie will ein unabhängiges Schottland zurück in die EU führen. Im Parlament in Edinburgh sind die Unabhängigkeitsbefürworter in der Mehrheit.
Ungeachtet der Londoner Entscheidung hat das Unabhängigkeitslager für den Nachmittag in mehreren schottischen Städten zu Demonstrationen aufgerufen. Auch in fünf EU-Städten soll es kleinere Versammlungen geben, darunter in München. «Ebenso wichtig wie das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist die Tatsache, dass Menschen auf der ganzen Welt sehen werden, dass die Schotten sichtbar, aktiv und lautstark ein weiteres Referendum unterstützen, um über ihre Zukunft zu entscheiden», sagte Co-Organisatorin Lesley Riddoch.