7-Tage-Inzidenz erstmals seit Ende Oktober unter 100

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Deutschland,

Der harte Lockdown zeigt Wirkung: Innerhalb eines Monats haben sich die deutschen Infektionszahlen in der Pandemie halbiert. Schnelle Lockerungen der Massnahmen halten einige Wissenschaftler aber für fatal. Der Weg zu mehr Freiheiten für alle führe woanders lang.

Eine Botschaft mit Zukunftsperspektive ist am Opernhaus in Dortmund zu lesen. Foto: Bernd Thissen/dpa
Eine Botschaft mit Zukunftsperspektive ist am Opernhaus in Dortmund zu lesen. Foto: Bernd Thissen/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Deutschland hat eine wichtige Hürde im Pandemie-Winter genommen: Dank des strengen Lockdowns haben sich die Infektionszahlen seit Weihnachten halbiert.

So gab das Robert Koch-Institut die 7-Tage-Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche - am Donnerstagmorgen mit 98 an. Der bisherige Höchstwert wurde am 22. Dezember mit 198 erreicht.

Erklärtes Ziel von Bund und Ländern ist bisher, die 7-Tage-Inzidenz auf unter 50 zu drücken. Hält die positive Entwicklung an, könnte das rein rechnerisch so bis Mitte bis Ende Februar erreichbar sein. Doch Wissenschaftler halten ein Hoffnungmachen auf schnelle Lockerungen für das falsche Signal. Deutschland solle den Erfolg nicht verspielen, rät Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Mehr Freiheiten für alle winken aus ihrer Sicht erst, wenn die Inzidenz auf oder unter 10 gedrückt werde - so wie im vergangenen Sommer.

Im vergangenen Jahr wurde eine Inzidenz von 50 als Schwelle dafür definiert, bis zu der die knapp 400 deutschen Gesundheitsämter die Lage unter Kontrolle halten können: also alle Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig machen und in Quarantäne schicken. Wichtig sei, schnell auf den 50er-Wert zu kommen, «damit wir dann über Öffnungen reden können», argumentiert Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Dabei gibt es keine Automatismen: Bei welchen Schwellen welche Corona-Massnahmen zu lockern sind, ist eine politisch zu klärende Frage. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte bereits am Mittwochabend: «Ich werde für Fortsetzung des Lockdowns argumentieren» - bis eine Inzidenz von 25 erreicht sei.

Für Forscherinnen wie Viola Priesemann ist die Inzidenz um 100 erst ein kleines Zwischenziel. Sie hält drei weitere Halbierungen der Ansteckungsraten für nötig: auf 50, 25 und schliesslich 12,5. Ab dem bisherigen Ziel 50 würden dann ihrer Rechnung nach zwei bis vier weitere Wochen vergehen, bis über ein bisschen mehr Normalität nachgedacht werden könne.

Es sei ein Weg, der sich für alle lohne, wirbt die Forscherin für ihre Theorie. Das sei wie bei einem Feuer. Entweder sei es unter Kontrolle - oder eben nicht. «Eine halbe Kontrolle gibt es bei Feuer nicht.»

Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein. Charité-Virologe Christian Drosten hat trotz fortschreitender Impfungen bei Risikogruppen bereits vor zu schnellen Lockerungen gewarnt. Auch andere Virologen wünschen sich Puffer jenseits der Zielmarke 50. Das liegt auch an Varianten des Virus, die ansteckender sind.

«Wir sehen in Deutschland eine wöchentliche Abnahme der Neuinfektionen von rund 20 Prozent», rechnet Sebastian Binder vor, Systemimmunologe am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. «Damit wäre ungefähr Mitte Februar die Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche erreicht.» Das Institut arbeite an Simulationen, wie schnell sich die Mutationen durchsetzen und wie sich das auf das Infektionsgeschehen auswirken könne.

Quantitativ gebe es zwar noch keine Ergebnisse. «Es ist aber ziemlich klar, dass die britische Variante - wenn sie sich durchsetzt - deutlich schärfere Massnahmen erfordert, um eine Stabilisierung oder Sinken der Fallzahlen zu erreichen», sagt Binder. Aktuell sei es daher sehr wichtig, eine Verbreitung dieser Variante so weit wie möglich zu stoppen.

«Allgemein sind die Erfahrungen aus Grossbritannien besorgniserregend», ergänzt der Wissenschaftler. «Ich halte bei der aktuellen Reduktion Lockerungen Mitte Februar für riskant, wenn man die Fallzahlen gering halten möchte.» Er befürchte sonst einen erneuten Lockdown in der Folge. «Das gilt übrigens sogar mit dem bekannten Virustyp, umso mehr aber mit der Gefahr einer Verbreitung der neuen Variante.»

Auch Binder sieht aber gute Chancen, die Kontrolle über die Pandemie wiederzugewinnen - auf einem Infektionsniveau wie im vergangenen Sommer und ohne harte allgemeine Einschränkungen. «In einem solchen Szenario kann lokal angepasst reagiert werden, wenn es zu Ausbrüchen kommt», sagt er. Alle anderen Regionen könnten mit Abstandhalten, Maskentragen, Hygiene sowie wenigen sonstigen Einschränkungen auskommen. «Bei der aktuellen Rate dauert es selbst ohne Lockerungen aber bis Mitte April, bis wir unter 10 Fällen pro Woche und 100.000 Einwohner sind», sagt auch Binder. Dann ist nach Ostern.

«Das Problem sind die Menschen, die gar nicht wissen, dass sie Träger des Virus sind - und es aus Versehen in Schulen oder Altenheime tragen, zu Freunden und Bekannten», sagt Forscherin Priesemann. «Das passiert bei hohen Fallzahlen. Und das passiert trotz der Schutzmassnahmen.»

Das Management der Pandemie dürfe sich deshalb nicht allein an Klinik-Kapazitäten orientieren. Test- und Impfkapazitäten seien beschränkt. Auf die Frage, wie lange Immunität anhalte, gebe es noch keine Antwort. Je höher die Fallzahlen, desto eher aber könnten neue Virus-Varianten das Immunsystem und Impfungen umgehen. «Und dann ist man wieder fast bei Punkt Null.»

Seit Beginn der Corona-Impfkampagne vor rund einem Monat sind bundesweit nach RKI-Daten vom Donnerstag (Stand: 10.00 Uhr) mehr als 2,1 Millionen Dosen verabreicht worden. Mehr als 1,7 Millionen Menschen sind demnach einfach gegen Covid-19 geimpft, mehr als 366.000 haben schon die nötige zweite Spritze erhalten. Die höchsten Impfquoten haben bisher Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz mit 3,3 Prozent. Schlusslicht Nordrhein-Westfalen kommt auf 1,7 Prozent geimpfte Einwohner.

Auf den Intensivstationen sinkt die Zahl der Covid-19-Patienten weiter, mit Stand Donnerstag waren 4437 von ihnen in Behandlung, wie aus dem Report der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) hervorgeht. Das ist mehr als zu Hochzeiten der ersten Welle, aber eine leichte Entspannung im Vergleich zum Jahresbeginn: Anfang Januar waren es 5800 gewesen.

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