Ab in die Tonne: Essensverschwendung im Ramadan
Im muslimischen Fastenmonat dreht sich tagsüber viel um Verzicht. Nach Sonnenuntergang wird dafür gern umso grösser aufgetischt – und viel Essen weggeworfen. Über ein Paradox im Ramadan.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang läuft Baba Abdus Grillmeister zur Höchstform auf.
Weisser, würzig riechender Qualm von Kuftaspiessen und Hähnchenteilen zieht in die Luft vor dem Bab al-Futuh, einem historischen Stadttor von Kairo. Mitarbeiter verteilen Salat und Tahinapaste aus Kübeln auf kleine Blechteller. Fast jeder Tisch ist belegt. Dutzende warten darauf, hier beim Maghrib-Gebetsruf gleich ihr tägliches Fasten zu brechen.
Über Ägypten legt sich im Fastenmonat Ramadan, dessen Ende voraussichtlich ab dem Freitag gefeiert wird, jedes Jahr eine feierliche Stimmung. Die Tage drehen sich für gläubige Muslime viel um Verzicht, unter anderem auf Essen und Trinken. Nach Sonnenuntergang wird für Familie, Freunde und Kolleginnen dafür umso grösser aufgetischt. Entgegen der Annahme, dass Fasten auch weniger Verbrauch bedeutet, steigt in diesen Wochen die Lebensmittel-Nachfrage stark an – wie auch die Menge an weggeworfenem Essen.
Überschüsse mit Bedürftigen teilen
«Es hat viel mit Kultur zu tun», sagt Nasredin Hag Elamin, Vertreter der Welternährungsorganisation FAO in Ägypten. «In unserer Region sind Grosszügigkeit und das Anbieten von Essen ein Schlüsselelement der Kultur». Als religiöse Dimension kommt hinzu, dass Muslime überschüssiges Essen mit Bedürftigen teilen sollen. Dieses Gebot werde im Ramadan weit ausgelegt, sagt Hag Elamin, obwohl der Islam einen sparsamen Umgang mit Essen lehrt. «Die Menschen sollen frommer sein, verschwenden am Ende aber mehr», sagt Hag Elamin.
Ägypten ist mit dem Problem nicht allein. In Saudi-Arabien, der Wiege des Islams, werden im Fastenmonat laut einer UN-Studie etwa 30 bis 50 Prozent aller zubereiteten Speisen weggeworfen. In Katar sind es 25, in den Emiraten 40 Prozent. Grund seien «extravagante Mahlzeiten, die Bedürfnisse von Familien weit übersteigen und bei denen Reste weggeworfen werden». Auch im Libanon, Tunesien sowie Indonesien, wo die meisten Muslime weltweit leben, will man mehr Bewusstsein schaffen.
Neue Gewohnheiten
Kampagnen versuchen inzwischen, gezielt gegenzusteuern. Tipps mitunter: Plant die Mahlzeiten genauer, kauft nur, was Ihr wirklich braucht, lagert Lebensmittel korrekt und hebt Reste für weitere Tage auf oder spendet an Tafeln. «Der Ramadan ist eine hervorragende Gelegenheit für neue Gewohnheiten, die uns durch das ganze Jahr und darüber hinaus tragen werden», schreibt die Hilfsorganisation Islamic Relief. Auch bei Hochzeiten, Geburten und Todesfällen wird an Buffets oft übermässig viel Essen angeboten.
An alten Gewohnheiten hängen sicher auch Familien in Europa, die an Weihnachten sparsamer mit Lebensmitteln umgehen wollen. In vielen Haushalten wird das Fest dann doch zur mehrtägigen Gruppen-Völlerei mit der Hoffnung, im folgenden Jahr endlich alles anders zu machen. Der Ablauf gleicht am Ende dem, den Sarah al-Haddad von der Egyptian Food Bank (EFB) aus ägyptischen Haushalten beschreibt: «Du wirst viele Gäste haben, also bereitest du viele Speisen vor.»
Mangels vergleichbarer Daten lässt sich kaum herausfinden, in welchen Ländern jährlich pro Kopf am meisten Essen verschwendet wird. Experten sehen aber ein globales Problem. Nicht nur wegen Hunderter Millionen hungernder Menschen, sondern auch mit der Klimakrise. Verluste etwa bei Ernten sowie Abfälle von Nahrungsmitteln sind laut FAO etwa für 8 bis 10 Prozent der Klimagasemissionen verantwortlich.
Ärmere Menschen und die Grossfamilien
In Ägypten, das 65 Prozent seiner Grundnahrungsmittel importiert, mag die Verschwendung besonders stark auffallen: ein Drittel der – rasant wachsenden – Bevölkerung lebt in Armut, Preise für Lebensmittel steigen weiter. Viele ärmere Menschen kommen vor allem mit Hilfe der Grossfamilie über die Runden. Die Tafel EFB sammelt auch Essen von Hotels, Restaurants und, so die Pläne, bald auch Supermärkten, um es etwa an Waisen- und Altenheime zu verteilen.
Die ägyptische Abgeordnete Amira Sabir hat schon vor einem Jahr einen Gesetzentwurf vorgelegt, um Essensabfälle zu verringern. Strafen für die Verschwendung von und Anreize für den sparsamen Umgang mit Essen sollen helfen, Restaurants etwa in die richtige Bahn zu lenken. Es brauche aber auch psychologische Ansätze, sagt Al-Haddad von der EFB, zum Beispiel kleinere Teller in Hotels. «Mit grossen Tellern wirst du auch mehr Essen aufdecken.»