Nato geht wegen russischer Truppenbewegungen in Krisenmodus
Das Wichtigste in Kürze
- Die Nato geht wegen der russischen Truppenbewegungen unweit der Grenze zur Ukraine in den Krisenmodus.
Es gebe sehr grosse Zustimmung zum Vorschlag von Generalsekretär Jens Stoltenberg, die Lage nicht nur zu beobachten, sondern auch Massnahmen in Gang zu setzen, sagte der geschäftsführende Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag bei einem Nato-Treffen in der lettischen Hauptstadt Riga. Ziel sei, zu einem gemeinsamen Lagebild zu kommen und Reaktionsmöglichkeiten zu entwickeln - zum Beispiel Sanktionen.
Hintergrund sind Erkenntnisse, wonach Russland an der Grenze zur Ukraine erneut ungewöhnlich grosse Kontingente gefechtsbereiter Truppen sowie schwere Waffen und Drohnen stationiert hat. Die Ukraine beziffert die Zahl der russischen Soldaten an der Grenze inzwischen auf 115.000. Die Entwicklungen wecken böse Erinnerungen an 2014: Damals hatte sich Russland die ukrainische Halbinsel Krim einverleibt.
«Anlass zu grösster Sorge»
«Die militärischen Aktivitäten Russlands an der Grenze zur Ukraine geben uns Anlass zu grösster Sorge», sagte Maas. Wichtig seien jetzt Schritte zur Deeskalation. «Ich werde nicht müde zu betonen, dass die Tür zu solchen Gesprächen für Russland weiter offensteht.» Zugleich warnte der SPD-Politiker: «Für jegliche Form von Aggression müsste Russland einen hohen Preis zahlen.»
Ähnlich äusserten sich Stoltenberg und US-Aussenminister Antony Blinken. «Jede neue Aggression würde schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen», sagte Blinken. Er sprach von hochgradig besorgniserregenden Truppenbewegungen. Maas sagte: «Es besteht hier Einigkeit darüber, dass eine Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine ernsthafte Konsequenzen hätte - politische, aber auch sicherlich wirtschaftliche.»
Stoltenberg wich am Abend bei einer Pressekonferenz einer Nachfrage zu konkreten Beschlüssen aus. Er betonte, dass es beim Thema Beistand einen Unterschied zwischen Partnerländern wie der Ukraine und Mitgliedsstaaten der Allianz gebe. Er sei sich aber sicher, dass es für die Ukraine weiter Hilfe durch Ausrüstung und Ausbildung geben werde. Ein militärisches Eingreifen der Nato gilt wegen der Gefahr eines grossen Krieges als äusserst unwahrscheinlich.
Russische Kritik an westlicher Militärpräsenz
Die Gründe für den massiven Truppenaufmarsch sind unklar. Moskau behauptet, dass von Russland keine Gefahr ausgehe. Auf russischem Staatsgebiet könne man Truppen nach eigenem Ermessen bewegen. Staatschef Wladimir Putin kritisierte einmal mehr die Militärpräsenz westlicher Staaten an der russischen Grenze. «Die Russische Föderation ist besorgt», sagte der Präsident der Staatsagentur Ria Nowosti zufolge. «Das alles stellt eine Bedrohung für uns dar.»
Zu Befürchtungen der Nato vor einem möglichen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sagte Putin: «Es geht nicht darum, Truppen dorthin zu schicken oder nicht zu schicken, zu kämpfen oder nicht zu kämpfen, sondern darum, die Beziehungen zu verbessern.» Die Sicherheitsinteressen aller internationalen Akteure müssten berücksichtigt werden. Die britische Aussenministerin Liz Truss wies Unterstellungen zurück, dass die Nato die Russen provoziere. Die Nato sei ein Bündnis, das auf dem Grundsatz der Verteidigung beruhe.
Grenzkonflikt mit Belarus
Denkbar ist auch, dass der Truppenaufmarsch in Verbindung mit dem Nato-Treffen steht. Zum ersten Mal wird eine Tagung der Nato-Aussenminister in dem direkt an Russland grenzenden Bündnisstaat organisiert. Litauen, Lettland und Polen müssen sich derzeit auch mit einer kritischen Situation an ihren Grenzen zum russischen Partnerland Belarus auseinandersetzen. Der Führung in Minsk wird vorgeworfen, gezielt Migranten ins Land zu holen, um sie dann zur Weiterreise in die EU an die Grenze zu bringen.
Auf der Tagesordnung des zweitägigen Nato-Treffens stehen neben der Lage im Osten die laufenden Arbeiten an einem neuen strategischen Konzept für das Bündnis und die Aufarbeitung des in einem Debakel geendeten Afghanistan-Einsatzes. In Afghanistan hatten kurze Zeit nach Ende der Nato-Militärpräsenz die militant-islamistischen Taliban die Macht zurückerobert.