Noch immer konnte keine Einigung bezüglich des Handelspaket zwischen der EU und Grossbritannien erzielt werden. Die Unterhändler stehen enorm unter Zeitdruck.
Michel Barnier David Frost
Michel Barnier (r.), Chefunterhändler der Europäischen Union für den Brexit, mit David Frost, Europa-Berater des britischen Premierministers. (Archivbild) - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Noch immer ist es unklar, wie es ab 2021 zwischen der EU und Grossbritannien weitergeht.
  • Michel Barnier sieht die Aussichten für eine baldige Einigung düster.
  • Die Unterhändler stehen nun enorm unter Zeitdruck.
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Zitterpartie bis zum Schluss: Mit einem letzten Kraftakt haben die Europäische Union und Grossbritannien zu Wochenbeginn versucht, doch noch einen Handelspakt für die Zeit ab dem 1. Januar zustande zu bringen.

In Brüssel bewerteten EU-Unterhändler Michel Barnier, Diplomaten und Abgeordnete die Aussichten für eine Einigung am Montag düster. Doch noch war keine Seite bereit, die Verantwortung für ein Scheitern zu übernehmen.

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Verhandelte für Brüssel um den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs: der Franzose Michel Barnier bei einer Pressekonferenz. - Keystone

So sagte Barnier nach Angaben von Teilnehmern bei einer Unterrichtung für Europaabgeordnete, es könnte noch bis Mittwoch verhandelt werden. Also bis unmittelbar vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag. Auch die britische Regierung erklärte, die Zeit sei zwar knapp, aber solange noch welche bleibe, sei man bereit, weiter zu verhandeln.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Premier Boris Johnson wollten bei einem Telefonat am Montagnachmittag beraten, wie es weitergeht.

Unterhändler unter Zeitdruck

Keine vier Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase stehen die Unterhändler enorm unter Zeitdruck. Ohne Handelsabkommen drohen zum Jahreswechsel Zölle und andere Handelshürden zwischen beiden Seiten, die bisher im gemeinsamen Binnenmarkt engstens verflochten sind. Und Waren im Wert von mehreren Hundert Milliarden Euro pro Jahr hin und her liefern.

Brexit
David Frost, Grossbritanniens Chef-Unterhändler für den Brexit, trägt eine schützende Gesichtsmaske, als er das EU-Borschette-Kongresszentrum nach einem Treffen mit EU-Chefunterhändler Barnier verlässt. 07.12.2020, Belgien, Brüssel - dpa

Scheitern die Verhandlungen, würden viele britische Waren in der EU teurer. Verzögerungen an der Grenze könnten zu Engpässen führen und Lieferketten unterbrechen. Zehntausende Jobs wären in Gefahr. In Grossbritannien sorgt man sich vor allem um Knappheiten bei Benzin und bestimmten Lebensmitteln.

Die Unterhändler streiten seit Monaten über immer dieselben Punkte: Fischerei, faire Wettbewerbsbedingungen und Regeln zur Ahndung von Verstössen gegen das Abkommen.

Keine Seite will offenbar als erste aufgeben

Bei diesen Knackpunkten sei man auch in der jüngsten Verhandlungsrunde seit Sonntag kaum vorangekommen. Dies berichtete Barnier am Montagfrüh den EU-Botschaftern und den Brexit-Spezialisten im Europaparlament. Barniers Auftritt sei düster, niedergeschlagen und pessimistisch gewesen, sagte ein EU-Diplomat. Auch der irische Aussenminister Simon Coveney äusserte sich in einem Fernsehinterview wenig zuversichtlich.

Doch keine Seite will offenbar als erste aufgeben – und die Misere eines No-Deal-Brexits verantworten. «Der Ausgang ist immer noch offen», sagte ein anderer EU-Diplomat.

Irlands Aussenminister Simon Coveney
Der irische Minister für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung, Simon Coveney, trifft zu einer Kabinettssitzung im Dubliner Schloss ein. 21.07.2020, Irland, Dublin - dpa

«Die EU ist bereit, letzte Anstrengungen aufzubringen. Dies, um einen fairen, nachhaltigen und ausgewogenen Deal für die Bürger in der EU und dem Vereinigten Königreich zu erzielen. Es ist jetzt an Grossbritannien, zwischen einem solchen positiven Ergebnis und einem No-Deal zu wählen», so der Diplomat.

Die Bundesregierung bekräftigte, es müsse Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten geben – also nicht nur von London. Aber es gebe eben auch auf beide Seiten rote Linien.

Grossbritannien will «Souveränität» und «Kontrolle»

Barnier und sein britischer Kollege David Frost prüfen seit Monaten zentimeterweise sogenannte Landezone. Deshalb dürfte nun kaum noch eine Überraschungslösung kommen, an die noch niemand gedacht hat. Entscheidend dürfte sein, ob sich beide Seiten politisch einen Ruck geben. Und das wiederum hängt von dem Kalkül ab, ob ein schwacher, überstürzter oder verquerer Vertrag womöglich langfristig mehr Nachteile bringt als ein No-Deal.

Die EU hat Grossbritannien freien Warenhandel ohne Zölle und Mengenbegrenzungen angeboten. Dafür fordert sie aber gleiche Umwelt- oder Sozialstandards und Subventionsregeln. Das verbirgt sich hinter dem Punkt faire Wettbewerbsbedingungen - im Verhandlungsjargon «Level Playing Field».

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Die Flaggen von Grossbritannien und der EU. - dpa

Das Problem: Grossbritannien möchte sich von der EU möglichst wenige Vorgaben machen lassen. «Souveränität» und «Kontrolle» über die eigenen Regeln ist aus Londoner Sicht ja der Hauptzweck des Brexits. Die EU will hingegen keine Öffnung ihres Markts für Unternehmen, die geringere Standards einhalten müssen und deshalb billiger produzieren können. Der Schutz des EU-Binnenmarkts sei für alle 27 Staaten oberste Priorität, heisst es in Brüssel.

Harte Grenze zwischen Nordirland und Irland verhindern

Das zweite Streitthema Fischerei ist vor allem für Küstenstaaten wichtig, allen voran Frankreich. Die Unterhändler feilschen um die Mengen, die EU-Fischer in britischen Gewässern fangen dürfen. Im Gespräch sind Quoten und eine Klausel zur Überprüfung der Regelung nach einer bestimmten Frist – eine sogenannte Revisionsklausel. Einen angeblichen Durchbruch beim Fisch dementierten beide Seiten.

Der dritte Punkt «Durchsetzung des Vertrags» ist der EU auch wegen eines Manövers der Johnson-Regierung wichtig. Dieses traf in Brüssel auf helle Empörung: britische Gesetzesklauseln, die das bereits gültige EU-Austrittsabkommen vom Jahresbeginn zum Teil aushebeln würden. Dabei geht es um Passagen, die eine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland verhindern sollen.

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Der Premierminister Grossbritanniens, Boris Johnson. (Archivbild) - Keystone

Die Regierung Johnson fürchtet, die im Vertrag vereinbarten Sonderregeln für Nordirland könnten den Landesteil vom Binnenmarkt des Vereinigten Königreichs abkoppeln. Und ein Einfallstor für EU-Vorgaben bei staatliche Beihilfen werden.

Umstrittenes Binnenmarktgesetz

Als Sicherheitsnetz für den Fall eines No-Deal brachte Johnson daher ein so genanntes Binnenmarktgesetz ins Parlament ein. Dieses soll der Regierung weitreichende Kompetenzen geben, um das Abkommen mit der EU auszuhebeln. Dass es sich dabei um einen Bruch internationalen Rechts handeln würde, gab die Regierung zu.

Auch in Grossbritannien sorgte das für Empörung. Die umstrittenen Passagen wurden im Lauf des Gesetzgebungsprozesses von den Lords im Oberhaus entfernt. Am Montagabend wollte sie die Regierung mit ihrer Unterhausmehrheit wieder einfügen - für die EU ein Affront.

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