EU ringt um Brexit-Verschiebung - Schwierige Verhandlungen
Ist das Chaos bei einem ungeregelten Austritt Grossbritanniens aus der EU noch zu verhindern? Die EU startete auf ihrem Gipfel einen neuen Versuch. Der gestaltete sich schwieriger als gedacht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Brexit-Gespräche beim EU-Gipfel in Brüssel haben sich deutlich schwieriger gestaltet als erwartet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs erwogen, Grossbritannien eine Verschiebung des EU-Austritts um mehrere Wochen zu erlauben, um ein ungeregeltes Ausscheiden zu verhindern. Unklar war zunächst aber, wie lange genau und unter welchen Bedingungen.
Nach Angaben von Diplomaten stand unter anderem das Datum 7. Mai im Raum. Als mögliche Bedingung galt, dass das Parlament in London nächste Woche den zwischen der britischen Premierministerin Theresa May und der EU ausgehandelten Austrittsvertrag doch noch billigt. Grundsätzlich soll der Brexit im Idealfall vor der Europawahl vollzogen werden, .
May hatte eigentlich einen deutlich längeren Aufschub bis zum 30. Juni erbeten, um eine problemlose Ratifizierung des Austrittsabkommen zu gewährleisten. Die EU-Kommission hatte jedoch Bedenken erhoben. Bei einer so langen Verschiebung müsse Grossbritannien an der Europawahl teilnehmen, hiess es in einer internen Bewertung der Brüsseler Behörde.
Unklar war zunächst auch, was passieren soll, wenn das britische Unterhaus das Austrittsabkommen in der nächsten Woche erneut ablehnt. Die Abgeordneten haben dem Vertragspaket schon zweimal die Zustimmung verweigert. Für kommenden Montag setzte das Parlament in London eine weitere Debatte über den Brexit an. Ob und wann zum dritten Mal abgestimmt wird, blieb aber zunächst offen.
Bundeskanzlerin Merkel warb zum Auftakt des Gipfels dafür, in den Bemühungen um eine einvernehmliche Lösung mit Grossbritannien nicht nachzulassen. «Wir sollten bis zum letzten Moment alles daran setzen, einen geordneten Brexit hinzubekommen», sagte sie. Allerdings schloss auch sie nicht mehr aus, dass die Bemühungen scheitern.
Etliche der Gipfelteilnehmer stellten klar, dass sie für eine kurze Brexit-Verschiebung offen sind. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz sagte: «Ich gehe davon aus, dass wir uns heute auf ein Ja zu einer Verschiebung einigen können, natürlich nicht unter allen Umständen, aber insbesondere dann, wenn es auch eine Zustimmung im britischen Parlament gibt.»
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte, bei einem erneuten Nein des britischen Parlaments steuere man auf einen ungeregelten Brexit zu - es sei denn, es gäbe in Grossbritannien einen tiefgreifenden politischen Kurswechsel. Wie dieser aussehen könnte, liess er offen. Denkbar wären ein zweites Referendum, eine Neuwahl oder ein Rücktritt Mays.
Merkel äusserte sich weniger rigoros. Die CDU-Politikerin bezeichnete die Situation als «Ereignis von historischer Bedeutung» und sagte: «Deswegen müssen wir auch behutsam vorgehen.» Merkel hofft auf eine Billigung im Unterhaus, sagte aber auch: «Wir müssen uns eben auch darauf einstellen, dass das nicht geschieht.»
Sollte das Unterhaus in den nächsten Tagen nicht zustimmen, gäbe es wohl einen Krisengipfel kurz vor dem Brexit-Tag nächsten Freitag. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte: «Dann müssen wir zurückkommen.» Auch Merkel brachte einen Sondergipfel ins Gespräch.
Der Brexit-Vertrag regelt auf knapp 600 Seiten fast alle rechtlichen Fragen der Trennung, darunter Aufenthaltsrechte der 3,5 Millionen EU-Bürger in Grossbritannien, die britischen Schlusszahlungen an die EU und die Frage, Fällt das alles weg, herrscht rechtliche Unsicherheit. Zudem müssten Zölle erhoben und die Grenzen kontrolliert werden. Befürchtet werden dann lange Staus, unterbrochene Lieferketten und eine Konjunkturdelle.
May bekräftigte in Brüssel, sie hoffe immer noch auf ein geregeltes Ausscheiden aus der EU. Doch wollte auch sie auf mehrfache Nachfrage einen sogenannten No-Deal-Brexit nicht ausschliessen. «Was jetzt zählt ist, dass wir erkennen, dass der Brexit die Entscheidung des britischen Volks ist», sagte May. «Wir müssen ihn umsetzen.» Sie appellierte vor allem an ihr eigenes Parlament, sich endlich zu entscheiden. Die britischen Wähler hatten sich im Juni 2016 mit knapper Mehrheit in einem Referendum für den EU-Austritt entschieden.
Eigentlich wollten sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit ganz anderen Themen befassen, darunter das Verhältnis zu China, Industriepolitik, Klimaschutz und die Stärkung des Binnenmarkts.
In einer Regierungserklärung vor dem Gipfel machte sich Merkel leidenschaftlich für gemeinsame europäische Grossprojekte bei Industrie und Rüstung stark. Europa müsse sich gerade jetzt auf die grossen Herausforderungen durch China und die USA konzentrieren, sagte sie im Bundestag. Es seien auch «grosse Player notwendig, um auch Marktmacht zu erreichen und dem Mittelstand auch eine Entwicklungschance zu geben».
Die Welt ordne sich gerade neu, und die Europäer müssten sich überlegen, wie sie darauf reagieren wollten. Die Rolle Europas wachse weiter. Multilateralismus habe Europa Frieden und Wohlstand gebracht, sagte sie auch an die Adresse der USA. Das solle in Europa so weitergemacht werden, «zum Wohle aller». Um mit der Weltspitze mitzuhalten, müsse unter anderem die gemeinsame Währung gefestigt werden.