Corona und Schulen - Gipfel im Kanzleramt berät Vorgehen
Vor ein paar Wochen hatte Kanzlerin Merkel das Thema Schulen in der Corona-Zeit zur Chefsache gemacht. Nach einem kleinen Schulgipfel im August kommen nun an diesem Montag die Bildungsminister aus Bund und Ländern, SPD-Chefin Esken und Merkel zu weiteren Beratungen zusammen.

Das Wichtigste in Kürze
- Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat vor Gesprächen über die Schulen im Kanzleramt am heutigen Montag (18.00 Uhr) an alle appelliert, die Hygieneregeln einzuhalten und damit zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs in der Corona-Pandemie beizutragen.
Schule sei keine isolierte Veranstaltung. «Die Gesellschaft hat es durch ihr Verhalten insgesamt stark in der Hand, wie der Schulbetrieb in den nächsten Monaten laufen wird», sagte die CDU-Politikerin der dpa.
Nach Ansicht von Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne muss auch das Thema Frischluft in Schulgebäuden eine wichtige Rolle spielen. Präsenzunterricht lasse sich nicht durch Technik oder Fernunterricht zu Hause (Homeschooling) ersetzen. Es müsse verhindert werden, dass es in Deutschland erneut zu flächendeckenden Schulschliessungen kommt, sagte der SPD-Politiker am Montag der Deutschen Presse-Agentur. «Das Thema Lüften auch bei schwierigen Witterungsverhältnissen ist dabei zentral.»
Alle Klassenräume mit Lüftungsanlagen auszustatten, bezeichnete er als «hochproblematisch». «Wir brauchen handhabbare Lösungen für die Schulen.» In Niedersachsen setze man auf eine 20-5-20-Regel: 20 Minuten Unterricht, 5 Minuten Stosslüften, 20 Minuten Unterricht. Der Deutsche Lehrerverband hatte wiederholt bemängelt, dass sich in manchen Schulen gar nicht überall die Fenster weit öffnen liessen.
Bildungsgewerkschaften, Bundeselternrat und Oppositionsparteien fordern konkrete Schritte zur Unterstützung der Schulen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und der Bundeselternrat (BER) sprachen sich für einheitliche Lösungen etwa mit Blick auf das Lüften aus. Das Thema Digitalisierung sei sehr wichtig, dürfe aber nicht das einzige Thema sein. Geklärt werden müsse, ob Luftfilter flächendeckend eingesetzt würden und Kohlendioxid-Messgeräte eine schnell einsetzbare Alternative sein könnten, hiess es in einer gemeinsamen Mitteilung. «Dabei dürfen die Kosten für den Einsatz der Geräte kein K.o.-Kriterium sein.»
Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Katja Suding, sagte: «Vom heutigen Schulgipfel erwarten Schüler, Lehrkräfte und Eltern ein starkes Zeichen der Zuversicht und der Sicherheit. Ein wochenlanger Unterrichtsausfall wie zu Beginn der Corona-Pandemie darf sich nie mehr wiederholen.» Vertreter von Bund und Ländern hatten vor dem Treffen versichert, dass sie sich einig seien, dass es nicht mehr zu flächendeckenden Schulschliessungen kommen solle.
Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Katja Dörner, und die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, Margit Stumpp, forderten «klare Fortschritte». Es brauche unverzüglich eine digitale Grundausstattung für alle Schulen. Dazu gehörten ein Breitbandanschluss, WLAN, Endgeräte, Mailadressen, sichere Messenger, eine Schulcloud, IT-Support und Fort- und Weiterbildungen für die Lehrkräfte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Karliczek, SPD-Chefin Saskia Esken und die Kultusminister der Bundesländer beraten am Abend über die Lage an den Schulen in Corona-Zeiten und über weitere Schritte bei der Schuldigitalisierung. Die Schulschliessungen im Frühjahr hatten in dem Bereich viele Defizite offengelegt.
MERKEL: KINDER DÜRFEN NICHT VERLIERER DER PANDEMIE SEIN
Merkel nannte den Termin in ihrem Videopodcast am Wochenende «ein wichtiges Treffen». Zwar liege die Zuständigkeit für die Schulen bei den Ländern, aber es gehe jetzt darum, «gemeinsam alles dafür zu tun, dass Kinder und Jugendliche nicht die Verlierer der Pandemie sind. Dies ist mir auch persönlich ein ganz wichtiges Anliegen».
Vertreter von Bund und Ländern betonten vor den Gesprächen im Kanzleramt erneut, dass flächendeckende Schulschliessungen, wie im Frühjahr, vermieden werden sollen. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) sagte der dpa: «Die gesamte Schulfamilie ist sich einig, dass wir den Präsenzunterricht aufrechterhalten und keine Schulschliessungen mehr wollen.»
WORÜBER KONKRET GESPROCHEN WIRD
Das Treffen knüpft an ein Gespräch Merkels, Eskens und mehrerer Ländervertreter im August an. Damals wurde unter anderem besprochen, dass für Schüler eine günstige mobile Internetflatrate angeboten werden soll und die Lehrer in Deutschland mit Dienstlaptops ausgestattet werden. Die 500 Millionen Euro für die Dienstgeräte sollen aus dem Corona-Aufbauprogramm der EU finanziert werden. Das gibt es allerdings noch gar nicht. Nach dpa-Informationen könnte es darum gehen, dass Bund und Länder das Geld vorstrecken, damit es schneller geht.
Weitere Themen sind der Anschluss der Schulen an schnelles Internet, die Fort- und Ausbildung von Lehrern und der Aufbau bundesweiter Online-Bildungsinhalte. Esken brachte am Wochenende auch kostenlose Nachhilfe für benachteiligte Schüler ins Gespräch.
WAS WÄHREND CORONA SCHON AUF DEN WEG GEBRACHT WURDE
Das milliardenschwere Förderprogramm «Digitalpakt Schule» (5,5 Milliarden Euro) für den Aufbau der Infrastruktur an den Schulen war im Zuge der Corona-Krise um 500 Millionen Euro vom Bund aufgestockt worden. Mit dem Geld können die Schulen Leihgeräte für bedürftige Schüler anschaffen für den Fall erneuten Fernunterrichts. Ausserdem sollen die Ausbildung und Finanzierung von IT-Administratoren in den Förderkatalog des Digitalpakts aufgenommen werden, damit die Technik an den Schulen professionell betreut wird. Eine Entsprechende Vereinbarung zwischen Bund und Ländern ist nach Angaben Karliczeks «fast unterschriftsreif».
LEHRERVERBAND UND BILDUNGSGEWERKSCHAFTEN SEHEN FORTSCHRITTE, ABER...
Der Deutsche Lehrerverband und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hatten zuletzt von Fortschritten bei der Schuldigitalisierung gesprochen. Allerdings sei noch viel Luft nach oben. Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte der dpa vor dem Treffen: «Unser Problem ist im Moment nicht das Geld. Unser Problem ist tatsächlich die Umsetzung.» 30 bis 40.000 Schulen und 800.000 Lehrkräfte in Deutschland, da sei ein «dickes Brett» zu bohren. «Auch wenn wir mittlerweile einen wesentlich grösseren Bohrer aufgeschraubt haben und die Schlagzahl deutlich erhöht haben, wird das trotzdem noch etwas dauern, bis wir durch das Brett durch sind.»
WEITERGEHENDE FORDERUNGEN VON DGB UND PHILOLOGENVERBAND
Über Schulen und digitale Ausstattung zu reden könne nur ein erster Schritt sein, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Elke Hannack, der dpa. «Wir brauchen noch in diesem Herbst einen echten Corona-Bildungsgipfel, denn die Corona-Krise trifft Kitas, Schulen, berufliche Bildung, Weiterbildung und Hochschulen gleichermassen.» Dabei müssten auch die Beschäftigten im Bildungssystem, Eltern, Schüler, Studenten und Azubis zu Wort kommen.
Der Deutsche Philologenverband, der die Gymnasiallehrer vertritt, forderte mit Blick auf wahrscheinlich steigende Ansteckungszahlen im Winter Lüftungskonzepte für alle Schulen. «Das geht von der einfachen Instandsetzung nicht zu öffnender Fenster über mobile Raumlüfter bis hin zu kurzfristigen baulichen Belüftungsmassnahmen», sagte die Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing der dpa. Der Bund müsse entsprechende finanzielle Hilfen dafür bereitstellen.