Deutsche schäumen nach Kranktag-Forderung: «Unverschämtheit»
Der Allianz-Chef in Deutschland fordert die Wiedereinführung des «Karenztages». Sozialverbände und Gewerkschaften schäumen vor Wut.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Chef der deutschen Allianz fordert die Wiedereinführung des Karenztages.
- Bei den Gewerkschaften und beim Sozialverband kommt der Vorschlag gar nicht gut an.
- Es ist die Rede von einer «echten Unverschämtheit».
Der Chef der Allianz-Versicherung in Deutschland hat das neue Jahr mit einem umstrittenen Vorschlag eingeläutet: Oliver Bäte forderte, dass kranke Arbeitnehmer am ersten Tag ihres Ausfalls keinen Lohn erhalten sollen. Mit anderen Worten: Der sogenannte Karenztag solle wieder eingeführt werden.
Während das Thema auch in die Schweiz überschwappte und hierzulande kontrovers diskutiert wird, sorgt der Vorschlag bei unseren nördlichen Nachbarn regelrecht für rauchende Köpfe.
Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), spricht gegenüber der «Frankfurter Rundschau» von einer «echten Unverschämtheit». Engelmeier stellt ausserdem ihre eigene Forderung auf: Bäte solle sich in die Lage anderer versetzen, ehe er «solche Vorschläge rausbläst».
Grund für die Forderung nach der Wiedereinführung des sogenannten Karenztages ist laut Allianz-Chef Bäte die Entlastung der Arbeitgeber. Er kritisiert gegenüber dem «Handelsblatt» den hohen Krankenstand. Laut Statistischem Bundesamt waren Beschäftigte in Deutschland im Jahr 2023 durchschnittlich 15,1 Arbeitstage krankgemeldet.
Risiko von Karenztag: Kranke Menschen kommen trotzdem zur Arbeit
Kritik am Vorschlag liess nicht lange auf sich warten: Damit werde allen Arbeiterinnen und Arbeitern unterstellt, sie würden blau machen, lautete etwa der Vorwurf der Gewerkschaften. Auch Engelmeier vom Sozialverband hält den Karenztag für einen grundlegend falschen Weg.
Der Vorschlag sei ein «klassischer Arbeitgebervorschlag», so die Expertin. Schwarze Schafe gebe es überall – aber nur sehr wenige würden sich ohne Grund krankmelden. «Darum empfinden wir es als echte Unverschämtheit, allen Beschäftigten pauschal Krankmacherei zu unterstellen.»
Engelmeier warnt, dass kranke Menschen «aus Angst zur Arbeitsstelle kommen, dort nur mit halber Kraft arbeiten und am Ende noch Kolleginnen und Kollegen anstecken». Damit sei niemandem geholfen. Sie hebt ausserdem hervor, dass ein Tag ohne Lohn besonders für Menschen mit niedrigen Einkommen problematisch sein könne.
«Das würde ein Allianz-Vorstand in der Gehaltsabrechnung am Ende des Monats sicher kaum spüren. Vielleicht sollte man sich vorher mal in die Lage anderer versetzen, ehe man solche Vorschläge rausbläst», kritisiert die Verbandschefin.
Politik zeigt sich offen für Vorschlag
Die Gewerkschaften und der Sozialverband halten also nicht viel vom Vorschlag zur Wiedereinführung des Karenztages. In der Politik scheint die Forderung wiederum auf Anklang zu stossen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Sepp Müller, zeigte sich gegenüber «Politico» offen.
Der CDU-Politiker verwies auf die steigende Belastung der Sozialsysteme: «Aus diesem Grund sollten wir uns meiner Meinung nach nicht vor neuen Ideen verschliessen und diese diskutieren.»
Neu ist die Idee aber eigentlich gar nicht – der Karenztag hatte in Deutschland bis in die 1970er Jahre Bestand. Ausserdem wird der Lohn für die ersten sechs Krankheitswochen nicht von der Krankenkasse bezahlt, sondern vom Arbeitgeber.
