EU-Gipfel nimmt Hürde: Formel zur Rechtsstaatlichkeit vereinbart
Die EU-Staaten haben eine weitere Hürde auf dem Weg zum milliardenschweren Finanzpaket gegen die Corona-Krise genommen und kommen einer Gesamteinigung näher.
Das Wichtigste in Kürze
- Der EU-Sondergipfel erlebte am Montagabend gleich zwei Durchbrüche.
- Die 27 Staaten einigten sich zuerst auf die Höhe der Zuschüsse der Corona-Hilfen.
- Kurze Zeit später vereinbarten die EU-Staaten auch die Formel zur Rechtsstaatlichkeit.
Am Montagabend schafften die EU-Staaten am Sondergipfel in Brüssel endlich den ersten Durchbruch: Nach Angaben von Diplomaten einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs über die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Corona-Hilfen!
Statt der von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro sollen nur 390 Milliarden Euro bereitgestellt werden, bestätigten EU-Vertreter am Montag beim EU-Gipfel in Brüssel.
Um kurz nach Mitternacht dann diese Meldung von einem weiteren Fortschritt: Die EU-Staaten verständigten sich auf eine Formel, wie die Auszahlung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit gekoppelt werden soll.
Alle Staats- und Regierungschefs hätten am späten Montagabend zugestimmt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus EU-Kreisen in Brüssel. Damit liegen zwei wichtige Bausteine für die Lösung des Finanzstreits vor!
Die Koppelung von EU-Geldern an die Einhaltung von EU-Grundwerten wie Rechtsstaatlichkeit war eines der umstrittensten Themen in der Debatte um das milliardenschwere Corona-Hilfspaket und den siebenjährigen EU-Finanzrahmen.
Östliche Staaten wie Ungarn und Polen, gegen die Verfahren wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit laufen, versuchten die Koppelung zu verhindern. Einige andere Staaten pochten jedoch darauf.
Die nun gefundene Kompromissformel wurde nach Angaben von Diplomaten unter Mitwirkung etlicher Staaten am Montagnachmittag erarbeitet, darunter Deutschland, Frankreich und mehrere osteuropäische Staaten.
Geld soll gegen Bedingungen vergeben werden
Im neuen Text heisst es, der Europäische Rat unterstreiche die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit. Vor diesem Hintergrund werde nun ein System der Konditionalität zum Schutz des Budgets und des Corona-Plans eingeführt - das Geld soll also gegen Bedingungen vergeben werden. In diesem Kontext werde die Kommission bei Verstössen Massnahmen vorschlagen, die dann vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden.
Im jüngsten Vorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel war die Verknüpfung weniger schwammig gewesen. In ihr hatte es unter anderem geheissen, es werde ein Konditionalitätssystem eingeführt, um offensichtliche Mängel bei der verantwortungsvollen Regierungsführung der Behörden der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Achtung der Rechtsstaatlichkeit zu beheben, wenn dies zum Schutz der ordnungsgemässen Ausführung des EU-Haushalts einschliesslich der Corona-Hilfen und der finanziellen Interessen der Union erforderlich sei. Die Mängel hätten nach diesem Vorschlag anhand klarer und genauer Kriterien identifiziert werden sollen.
In der grossen Runde der 27 Staaten am Abend sei die neue Formel vom lettischen Regierungschef Krisjanis Karins vorgetragen und anschliessend per Akklamation von allen Staaten angenommen worden, hiess es von Diplomaten.
Sieg für Orban?
Die polnische Nachrichtenagentur PAP zitierte polnische Regierungsquellen mit der Einschätzung, die Koppelung der Auszahlung von EU-Geldern an Rechtsstaatlichkeit sei gestrichen worden.
Ungarische Medien feierten die Einigung als Sieg für Ministerpräsident Viktor Orban. Die Rede war auch von einem angeblichen Deal zwischen Orban und Bundeskanzlerin Angela Merkel, das laufende Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 zu beenden.
Dazu erklärte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert: «Ungarn hat sich bereit erklärt, im Artikel-7-Verfahren alle notwendigen Schritte zu tun, damit es im Rat zu einer Entscheidung kommen kann. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat zugesagt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten diesen Prozess voranzubringen.»
Das Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gilt im übertragenen Sinne als «Atombombe», weil damit in letzter Konsequenz bei Rechtsstaatsverstössen einem Land Stimmrechte auf EU-Ebene entzogen werden können. Die laufenden Verfahren gegen Ungarn und Polen kommen aber seit Jahren nicht vom Fleck.