Flugzeugabsturz: Russland wird Untersuchungen beeinflussen
Eine russische Rakete hat wohl zum Flugzeugabsturz in Kasachstan geführt. Russland soll versuchen, die Beteiligung zu vertuschen. Was dahintersteckt.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Mittwoch stürzte in Kasachstan ein aserbaidschanisches Passagierflugzeug ab.
- Laut Berichten wurde das Flugzeug durch eine russische Rakete zum Absturz gebracht.
- Bei Nau.ch sagen Russland-Experten: «Das ist das wahrscheinlichste Szenario.»
- Sie erklären, warum der Kreml versuchen könnte, den Vorfall zu vertuschen.
Vieles deutet beim Flugzeugabsturz in Kasachstan auf Wladimir Putin hin: Die Hinweise verdichten sich, dass Russland das aserbaidschanischen Passagierflugzeugs mit 38 Toten zum Absturz gebracht haben soll.
Hinter vorgehaltener Hand erklärten aserbaidschanische Regierungsvertreter, dass das Flugzeug wohl von einem russischen Luftabwehrsystem angegriffen wurde.
Und nicht nur das: Russlands Behörden hätten versucht, den versehentlichen Beschuss der Maschine durch die eigene Luftabwehr zu vertuschen.
Das Aserbaidschan-Newsportal «Caliber» schreibt etwa: Russland wollte das Flugzeug über dem Kaspischen Meer abstürzen lassen. Damit wären alle Zeugen getötet und das Flugzeug versenkt worden.
Deshalb sei den Piloten auch eine Notlandung am nächstgelegenen russischen Flughafen verweigert worden.
Russen-Abschuss «wahrscheinlichstes Szenario»
Russland-Experte Ulrich Schmid bestätigt gegenüber Nau.ch: «Mittlerweile scheint es genügend Hinweise zu geben, dass ein Abschuss durch die russische Flugabwehr das wahrscheinlichste Szenario ist.»
Auch Osteuropa-Experte Nicolas Hayoz hält das für «ziemlich plausibel», weil viele Indizien dafür sprechen.
«Die offiziellen Thesen von Vogelschlag oder Nebel werden als Unsinn betrachtet», sagt er gegenüber Nau.ch.
Vor allem, dass Russland das Flugzeug nicht landen liess und stattdessen übers Meer schickte, sorgt für Spekulationen. Will Russland den Vorfall nun vertuschen?
Hayoz mahnt bei den Spekulationen zur Vorsicht, sagt zur Vermutung aber: «Russland wird natürlich an einer eigenen ‹Theorie› festhalten wollen. Aber das Flugzeug ist in Kasachstan abgestürzt – da wird Russland nicht ‹mitmischen› können, um Beweise zu vernichten.»
Dennoch sei klar: «Russland wird versuchen, Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen.»
Sollte sich der Abschuss-Verdacht tatsächlich bestätigen, wäre das «natürlich eine grosse Blamage», sagt Hayoz.
«Vor allem, wenn sich herausstellt, dass für den Absturz tatsächlich ein Versehen verantwortlich wäre.» Also wenn der Abschuss nicht beabsichtigt war, wie bislang auch angenommen.
Flugzeugabsturz weckt böse Erinnerungen
Der Vorfall um den Flugzeugabsturz in Kasachstan erinnert an den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs MH17 2014 über der Ostukraine.
Das Passagierflugzeug wurde damals von einer Luftabwehrrakete getroffen – alle 298 Insassen kamen ums Leben.
Bis heute streitet der Kreml jede Beteiligung ab. Der inzwischen in Abwesenheit verurteilte russische Befehlshaber will Russland nicht ausliefern.
Laut Russland-Experte Ulrich Schmid sei die Situation damals eine andere gewesen als beim aktuellen Flugzeugabsturz über Kasachstan.
«Russland leugnete 2014 jede Beteiligung an den Kämpfen in der Ostukraine. Deshalb musste auch der Einsatz der russischen Flugabwehrrakete gegen MH17 geleugnet werden.»
Offiziell gab Russland nämlich nicht zu, die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine zu unterstützen.
Beim Ukraine-Krieg handelt es sich dahingegen um eine offizielle «militärische Spezialoperation».
Nach Flugzeugabsturz spürt auch russische Bevölkerung Ukraine-Krieg
Schmid sagt: «Das grösste Risiko für den Kreml in der aktuellen Situation besteht darin, dass Putin sein ‹Normalitätsversprechen› nicht mehr einhalten kann. Er signalisierte der russischen Bevölkerung, dass sie nichts vom Krieg in der Ukraine spüren werde.»
Das sei aber schon länger nicht mehr der Fall – der Vorfall in Kasachstan verstärke das.
Schmid verweist auf Sicherheitsmassnahmen an russischen Flughäfen: «Heute Morgen wurde der Flugbetrieb in Sotschi und Kasan eingestellt, ausserdem gab es Beschränkungen auf den Flughäfen Astrachan und Wolgograd.»
Osteuropa-Experte Nicolas Hayoz sagt zum Vergleich des MH17-Abschusses 2014 mit dem aktuellen Ereignis: «Russland hat nach 2014 mit Desinformation und Propaganda versucht, die Abschlussursachen zu vertuschen. Russland wird auch dieses Mal alles versuchen, um vom eigenen Versagen abzulenken.»
Nur sei es dieses Mal schwieriger, weil die Untersuchung von kasachischen Behörden durchgeführt wird.