Die griechischen Wähler haben wohl keine Lust mehr auf Experimente: Bei der Parlamentswahl könnten die Konservativen die absolute Mehrheit holen. Was erhoffen sich die Wähler von der Nea Dimokratia?
Viele Griechen haben derzeit kein Problem, die Partei zu wechseln - Hauptsache, das immer noch angeschlagene Land stabilisiert sich weiter. Foto: Socrates Baltagiannis
Viele Griechen haben derzeit kein Problem, die Partei zu wechseln - Hauptsache, das immer noch angeschlagene Land stabilisiert sich weiter. Foto: Socrates Baltagiannis - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • «Der Kuchen muss grösser werden.» Mit dieser Aussage, die bewusst kein Versprechen ist, hat der konservative Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis zumindest mal in den Umfragen gewonnen.
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Prognosen sagen seiner Partei Nea Dimokratia, dem griechischen Pendant zur CDU, bei der Parlamentswahl am Sonntag einen Sieg voraus.

Er kann auf 38 Prozent und mehr hoffen. Das würde ihm eine absolute Mehrheit im Parlament mit 300 Abgeordneten sichern, denn um die Regierungsbildung zu vereinfachen, erhält die stärkste Partei zusätzlich zu den gewählten Abgeordneten weitere 50 Sitze im Plenum. Der jetzige Ministerpräsident Alexis Tsipras und seine Linkspartei Syriza würden auf die Oppositionsbank verbannt.

Viele Griechen haben derzeit kein Problem, die Partei zu wechseln - Hauptsache, das immer noch angeschlagene Land stabilisiert sich weiter. Und genau das suggeriert Mitsotakis mit seinem Kuchen: Er werde keine voreiligen Wahlgeschenke verteilen, sagt er - stattdessen müsse erst die Wirtschaft, sprich, der Kuchen grösser werden, bevor man etwas verteilen und über eine Rentenerhöhungen, mehr Sozialausgaben oder staatliche Investitionen reden könne.

Der Pragmatismus des konservativen, als Technokraten bekannten Mitsotakis scheint zu ziehen. Die linke Regierungspartei hat es ihm leicht gemacht. Sie war 2015 angetreten, die Schuldenkrise abzuschmettern, indem sie der EU indirekt drohte, die Schulden nicht zurückzuzahlen. Aus den vollmundigen Versprechungen wurde jedoch das Gegenteil: Ministerpräsident Alexis Tsipras war gezwungen, ein Sparprogramm nach dem anderen umzusetzen, um das Land vor der Pleite zu bewahren.

Mit Erfolg: Im vergangenen Sommer wurden die internationalen Hilfsprogramme für Griechenland beendet. Das Land steht - wenn auch wackelig - wieder auf eigenen Beinen. Doch die politische Rechnung ist hoch, weil die Menschen Tsipras die harten Massnahmen übelnehmen.

Die Konservativen ihrerseits können nun voll auf das Thema Wirtschaft setzen, einen Bereich, mit dem sich die Linken unter Tsipras aus ideologischen Gründen oftmals schwer taten. So wurden ausländische Investitionen regelmässig blockiert, ebenso die Privatisierung von Staatsfirmen an vermeintlich böse Kapitalisten.

Mitsotakis will ein wirtschaftsfreundliches Klima schaffen - die berühmt-berüchtigte griechische Bürokratie abbauen, gegen die Vetternwirtschaft vorgehen, das Klientelsystem abschaffen. Die Unternehmenssteuer soll innerhalb von vier Jahren von 28 auf 20 Prozent gesenkt werden, auch die Abgaben für Geringverdiener sollen sinken, und so soll die Wirtschaft angekurbelt werden.

Auf dieser Annahme fusst ein weiteres Versprechen der Konservativen: Mitsotakis will die mehr als 400.000 Fachkräfte zurückholen, die seit Beginn der Wirtschaftskrise ausgewandert sind, um Jobs zu finden. Der «Brain-Drain» ist problematisch - so haben nach Angaben der Athener Ärztekammer unter anderem mehr als 18 000 Ärzte dem Land den Rücken gekehrt.

Diese Menschen wieder nach Griechenland zu locken, funktioniert jedoch nur mit mehr und besser bezahlten Arbeitsplätzen. «Mitsotakis muss schnell liefern», sagt der Athener Wirtschaftsprofessor Panagiotis Petrakis. «Er hat zwar im Kern nicht viel versprochen, aber es muss sofort Anzeichen geben, dass die Wirtschaft vorankommt und besagter Kuchen wächst.» Das werde so leicht nicht sein, glaubt der Fachmann. Seiner Ansicht nach gibt es in der Nea Dimokratia immer noch viele, die «nicht so modern denken» wie ihr Vorsitzender.

Die Märkte hingegen scheinen schon überzeugt: Kaum hatte Premier Tsipras nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl Neuwahlen angekündigt, schossen die Aktienkurse an der Athener Börse nach oben. Mehr noch: Die Aussicht auf eine konservative Regierung liess die Rendite für griechische Staatsanleihen auf ein historisches Tief sinken. Sie liegt derzeit bei etwas über 2 Prozent, einem Wert, den es für das risikobewertete Land noch nie gegeben hat.

Premier Tsipras warnt die Wähler vor einem «neuen Liberalismus», der Mitschuld daran trage, dass das Land in die Schuldenspirale geraten sei. Er selbst verspricht ebenfalls, sich um die von Steuern und Abgaben arg gebeutelte Mittelklasse zu kümmern, will dabei jedoch auch soziale Aspekte berücksichtigen. Er habe den Kampf nicht aufgegeben, betont er; die Wahlentscheidung falle erst am Sonntag.

Und tatsächlich, richtig schlecht steht seine Syriza mit Prognosen von 24 bis 29 Prozent der Stimmen nicht da, vor allem im Vergleich zu anderen sozialistischen Parteien in Europa. Viele Griechen haben nicht vergessen, dass auch und gerade die Konservativen die Krise verursacht und ausserdem über die Jahre immer wieder mit Bestechungsskandalen geglänzt haben.

Zudem gehört Mitsotakis zum alten griechischen Polit-Adel - sein Vater Konstantin war einst griechischer Premier, seine Schwester Dora Bakogianni Bürgermeisterin von Athen sowie Aussenministerin, sein Neffe hat gerade erst die Wahl zum Athener Bürgermeister gewonnen. Viele Wähler kritisieren und fürchten diese «Sippschaften», mit denen es unmöglich sei, das Land umzukrempeln und ehrlich zu machen.

Gleichgültig aber ob links oder rechts, ob Tsipras oder Mitsotakis, geeint sind die Griechen bei dieser Wahl vor allem in einem Wunsch: dass die schweren Zeiten endlich ein Ende finden.

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