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Kabul: Taliban-Kämpfer in der deutschen Polizeiwache

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Afghanistan,

Die Taliban wollen ein funktionierendes Staatswesen auf die Beine stellen. In Kabul haben ihre Kämpfer die Aufgaben der Polizei übernommen. Ein Besuch im Polizeidistrikt zehn.

Kabul
Ein junger Taliban-Kämpfer zielt zum Spass mit seinem Gewehr in Richtung Fotograf, während er vor einer Polizeistation in Kabul Wache hält. - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Marmortafel mit der deutschen Inschrift hängt noch an der Wache im zehnten Polizeibezirk in Kabul, die afghanischen Polizisten sind dagegen seit Mitte August weg.

«Diese Polizeistation wurde mit öffentlichen Geldern der Bundesrepublik Deutschland finanziert», steht dort.

Gebaut und saniert wurde die Wache demnach mithilfe der Bundeswehr. Davon profitieren jetzt die Taliban, die nach ihrer Machtübernahme in den Gebäudekomplex eingezogen sind. Ihre Kämpfer haben Polizeiaufgaben übernommen, von hier aus fahren sie mit erbeuteten Pritschenwagen Patrouillen. Beim Besuch an der Wache erscheint kaum vorstellbar, dass diese Truppe im Krieg gegen die Weltmacht USA und deren Verbündete den längeren Atem bewies.

Standard-Outfit mit Schnellfeuergewehr

Eine Handvoll der Islamisten hält die Stellung an der Schranke der Zugangsstrasse, die zu den Polizeigebäuden führt. Jung sind sie fast alle, bei manchen reicht es noch nicht zu einem ordentlichen Bart. Einige wenige haben improvisierte Uniformen an, Standard-Outfit ist aber das in Südasien verbreitete Schalwar Kamis: Ein weites Oberteil, das bis zu den Knien reicht, darunter eine weite Hose in gleicher Farbe. Um den Hals ist meist ein Tuch geschlungen, auf dem Kopf sitzt häufig eine bunte Kappe, an vielen Füssen prangen Sandalen oder Turnschuhe ohne Socken. Dazu trägt man eine Weste, die Taschen für Magazine bietet - und natürlich ein Schnellfeuergewehr.

Vom Krankenpfleger zum Taliban-Kämpfer

Die meisten hier haben russische Kalaschnikows, mit denen in Afghanistan seit Jahrzehnten gekämpft wird. Neu im Arsenal sind die erbeuteten amerikanischen M-16-Gewehre, damit ist Mohammad Abed ausgestattet. Das Produkt aus Russland gilt als zuverlässiger, aber letztlich seien beide Waffen gut, sagt der 22-Jährige. «Beide töten die Menschen, die in unser Land kommen und den Islam und uns nicht akzeptieren.» Abed stammt aus der zentralafghanischen Provinz Wardak, er sagt, er sei eigentlich gelernter Krankenpfleger. Den Taliban habe er sich im Alter von 16 Jahren angeschlossen.

Fotos und ein Schuss

Den beiden deutschen Reportern, die an der Schranke auf Zugang zum Taliban-Kommandeur des Polizeibezirks warten, schlägt erst tiefes Misstrauen entgegen. Die jungen Kämpfer beäugen besonders den Fotografen skeptisch, der ein paar Bilder macht - oft hängt es von der Laune der jeweiligen Taliban ab, ob das möglich ist oder nicht. Das Eis beginnt zu schmelzen, als die ersten der Kämpfer Fotos von sich auf dem Display der Kamera sehen wollen. Abed spricht etwas Englisch und versucht sich als Übersetzer für seine Mitkämpfer. Die jungen Afghanen möchten wissen, wie alt die Besucher sind, wie oft sie beten und was man in Deutschland so von den Taliban hält.

Die Kämpfer wollen immer mehr Fotos machen, mal mit den Deutschen, mal ohne sie, mal mit dem eigenen Smartphone, mal mit der Profi-Kamera. Einer der Taliban-Kämpfer legt mit seinem M-16-Gewehr auf den Fotografen an, als dieser ein Bild von ihm schiesst, es soll ein Scherz sein. Einige Zeit später löst sich aus der Waffe eines anderen Kämpfers vor dem Polizeigebäude ein Schuss. «Keine Sorge», sagt einer der Islamisten, es habe sich um ein Versehen gehandelt.

Chaos an der Schranke

Nach ihrem Sieg in dem 20-jährigen Krieg warten auf die Taliban nun die Mühen des Alltags, an der Schranke zur Polizeiwache geht das bei ganz profanen Dingen los. Eine chaotische Menge hat sich versammelt und begehrt Einlass. «Viele Menschen stellen sich nicht richtig an», beschwert sich einer der Taliban-Wachmänner. «Sie sollten sich ordentlich anstellen.» Die Menge an der Schranke steht in gewisser Weise auch für einen der Gründe, warum die vom Westen unterstützte Regierung so rapide von den Taliban gestürzt werden konnte.

Korruption und Niedergang

Die Wartenden wollen beispielsweise Diebstähle oder Streit mit Schuldnern anzeigen, viele Fälle stammen aus der Zeit vor der Taliban-Machtübernahme. Die Menschen hier beklagen, dass sie von Polizei und Justiz der alten Regierung kaum Hilfe erwarten konnten, ohne Schmiergeld zu bezahlen - das sei jetzt anders. Die frühere Regierung war zutiefst korrupt, nicht umsonst lag Afghanistan beim Korruptionsindex von Transparency International zuletzt auf Platz 165 von 179. Den Taliban kann man viele begründete Vorwürfe machen, sie haben Terroranschläge verübt und Menschenrechte mit Füssen getreten. Korruption gehörte aber nie dazu - im Gegenteil.

Taliban am Salatbüffet

Die Islamisten wollen nun ein funktionierendes Staatswesen auf die Beine stellen, mit Polizei und Justiz - und natürlich mit einer richtigen Regierung. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid lädt per Whatsapp-Gruppenchat zu Pressekonferenzen ein, bei denen auch Ausländer Fragen stellen dürfen. An Checkpoints in der Hauptstadt kontrollieren die Taliban Papiere und Kofferräume. Dass sie auch im Serena-Hotel für die Sicherheit zuständig sind, entbehrt nicht einer bitteren Ironie: 2008 und 2014 griffen ihre Selbstmordkommandos das Vorzeigehotel des Landes an und töteten dort zahlreiche Zivilisten. Heute bedienen sich Taliban-Kämpfer dort am Salatbüffet.

Erinnerungen an die Schreckensherrschaft

Vordergründig geht der Alltag in Kabul auch unter der neuen Regierung weiter. Die Strassen sind voll wie eh und je, Läden und Restaurants sind geöffnet, im Berufsverkehr stehen die Hauptstadtbewohner immer noch im Stau. Die Erinnerungen an die Schreckensherrschaft der Taliban von 1996 bis 2001, unter der besonders Frauen leiden mussten, sind aber nicht verblasst. Weit verbreitet ist die Angst, dass die Islamisten Frauen und Minderheiten erneut unterdrücken könnten. Die Organisation Human Rights Watch warf den Taliban in der westlichen Stadt Herat am Mittwoch bereits «weit verbreitete und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Mädchen» vor.

Kritik an den neuen Machthabern üben viele Afghaninnen und Afghanen nur hinter vorgehaltener Hand. Auch den Kritikern der Taliban bleibt allerdings wenig anderes übrig, als sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren, wenn sie sich nicht ins Ausland absetzen können. Wahlen haben die Taliban nie in Aussicht gestellt. Sie dürften in Kabul auf unabsehbare Zeit an der Macht bleiben.

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