Papst-Rede enttäuscht Missbrauchsopfer
Die Erwartungen an das erste Spitzentreffen zu den massiven Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche waren enorm. Der Papst verurteilt die Vergehen mit klaren Worten und will sie bekämpfen. Unklar bleibt, wie.
Das Wichtigste in Kürze
- Papst Franziskus hat am Ende des historischen Spitzentreffens im Vatikan die «Abscheulichkeit» des sexuellen Missbrauchs aufs Schärfste verurteilt.
Konkrete Massnahmen für die Weltkirche benannte er zunächst aber nicht.
Die katholische Kirche müsse aus ihrer Abwehrhaltung zu ihrem eigenen Schutz herauskommen, forderte der Pontifex zum Abschluss des Anti-Missbrauchsgipfels am Sonntag. Er kündigte ein hartes Durchgreifen gegen Täter und ein Ende der Vertuschung an. Kein Missbrauch dürfe jemals - «wie es in der Vergangenheit üblich war» - vertuscht oder unterbewertet werden.
Trotz der klaren Worte reagierten Opferverbände enttäuscht. Zwar soll es bald nach dem Spitzentreffen neue Anweisungen des Pontifex zum Schutz von Minderjährigen geben, die für den Vatikanstaat und die römische Kurie gelten sollen. Bischöfe sollen ausserdem ein Praxishandbuch bekommen, wie sie mit Missbrauchsfällen umzugehen haben, wie die Organisatoren des Treffens ankündigten. Opferverbände und kritische Theologen hatten sich aber mehr versprochen.
Franziskus hatte zu dem historischen Gipfel die Spitzen der Bischofskonferenzen der Welt geladen, um die Kirche nach jahrzehntelangen Skandalen aus der Krise zu führen. Bei seiner Auftaktrede hatte er am Donnerstag selbst betont, dass die Welt nicht mehr auf die Verurteilung von Missbrauch warte, sondern auf konkrete Massnahmen dagegen. Opfer fordern zum Beispiel, dass Vertuscher und Täter konsequent aus dem Klerikerstand entlassen werden oder die Machtstruktur und die Männerbünde in der Kirche diskutiert werden.
Hinter diesen hohen Erwartungen blieb der Papst in seiner Abschlussrede zurück. Er nannte Missbrauch ein übergreifendes, gesamtgesellschaftliches Problem, das vor allem «Eltern, Verwandte, die Partner von Kinderbräuten, Trainer und Erzieher» betreffe. In der Kirche wiege das Problem jedoch noch schwerer. «Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens auf weltweiter Ebene wird in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht.»
Der Papst versprach: «Sollte in der Kirche auch nur ein Missbrauchsfall ausfindig gemacht werden - was an sich schon eine Abscheulichkeit darstellt, - so wird dieser Fall mit der grössten Ernsthaftigkeit angegangen.» Ihn erinnerte Missbrauch auch an die «grausame religiöse Praxis (...), die in der Vergangenheit in einigen Kulturen verbreitet war, nämlich Menschen - oft Kinder - bei heidnischen Ritualen zu opfern».
Bei Opferverbänden und kritischen Theologen löste die Rede Empörung aus. «Anstatt konsequent aus der Opferperspektive die Verantwortung der Kirche zu benennen, (war es) routiniertes und uninspiriertes Abspulen von Selbstverständlichkeiten», sagte Thomas Schüller, Direktor am Institut für Kanonisches Recht an der Universität Münster, der Deutschen Presse-Agentur. Die Rede sei «ein Fiasko» gewesen.
Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband Eckiger Tisch twitterte, die Rede sei «der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen».
Der deutsche Kardinal Reinhard Marx zog dagegen eine positive Bilanz der Konferenz. «Vor allem ging es zunächst um den gemeinsamen, ehrlichen und realistischen Blick auf den sexuellen Missbrauch Minderjähriger in der Kirche, der eine schreckliche weltweite Realität ist», erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Es sei deutlich geworden, dass die Bischöfe die gleiche Einschätzung der Situation hätten. «Niemand von uns kann das Problem länger negieren oder gar tabuisieren.»
Marx verteidigte den Papst gegen Kritik: «Ich kann nicht erkennen, dass das nur qualmiges, nebulöses Gerede war», sagte er. Franziskus habe in seiner Rede in sieben Punkten seine Leitlinien dargestellt, die die Bischofskonferenzen nun in ihren Ländern umsetzen müssten. Marx begrüsste zudem die vom Vatikan angekündigten Schritte, die auf die Konferenz folgen sollen. Dem Papst schwebt zum Beispiel eine Art «Task Force» vor, die die Bistümer im Kampf gegen den Missbrauch unterstützen soll.
In seiner Grundsatzrede verteidigte Franziskus die Kirche gegen Kritik. Er forderte, sie müsse sich «über alle ideologischen Polemiken und die journalistischen Kalküle erheben, die oftmals die von den Kleinen durchlebten Dramen aus verschiedenen Interessen instrumentalisieren». Er sprach von einem «Gerechtigkeitswahn, der von den Schuldgefühlen aufgrund der vergangenen Fehler und dem Druck der medialen Welt hervorgerufen wird». Am Ende betonte er, dass die meisten Geistlichen unschuldig seien.
Aus Sicht des deutschen Paters Hans Zollner hat die Kirche mit der Konferenz einen «qualitativen und quantitativen Sprung gemacht». Alle Teilnehmer, mit denen er gesprochen habe, hätten sich verändert gefühlt. «Es gibt keinen Weg zurück mehr», sagte der Erzbischof von Malta und Mitorganisator der Konferenz, Charles Scicluna.
Sexueller Missbrauch wird in vielen Regionen der Welt sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kirche nicht als Problem anerkannt. In Deutschland, den USA und Irland wurden in der Aufarbeitung allerdings bereits deutliche Fortschritte erzielt.