Studie zu Omikron: Entwicklung der Variante wurde übersehen
Gemäss einer neuen Studie der Charité Berlin gab es die Vorläufer der Variante Omikron des Coronavirus schon deutlich vor der ersten Dokumentation derselben.
Das Wichtigste in Kürze
- Erste Omikron-Vorläufer existierten schon lange vor dem ersten Nachweis der Variante.
- Die Variante mutierte schrittweise und breitete sich dabei über mehrere Länder aus.
- «Dass wir von Omikron überrascht wurden, liegt am diagnostischen blinden Fleck in Afrika.»
Nach der ursprünglichen Variante des Coronavirus folgten die hochübertragbaren Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Varianten. Die neuen Varianten wurden jeweils nach wenigen Monaten durch eine Andere als dominierende Variante abgelöst. Dies änderte sich Ende 2021 schlagartig, als Omikron erschien – und blieb.
Gemäss einer neuen Studie der Charité Berlin gab es Vorläufer von Omikron bereits deutlich vor dem ersten Nachweis der Variante. Anders als bisher angenommen, entstand die Variante schrittweise über einen Zeitraum von mehreren Monaten in verschiedenen Ländern Afrikas.
Die Resultate der Studie widersprechen der bis anhin verbreiteten Hypothese zum Ursprung von Omikron. Die entdeckte Entwicklung sei mangels Analysen schlicht übersehen worden, wie der im Fachmagazin «Science» veröffentlichten Studie zu entnehmen ist.
Die Weltgesundheitsorganisation hatte die Variante erstmals am 9. November 2021 in Südafrika nachgewiesen und mit der Marke «besorgniserregend» deklariert.
Omikron schaffte es – trotz massiver staatlicher Eingriffe – sich rasch weltweit zu verbreiten und unzählige Menschen zu infizieren. Bereits Ende Dezember 2021 hatte Omikron die Delta-Variante als dominierende Variante abgelöst. Bis heute dominieren Omikron-Subtypen das weltweite Infektionsgeschehen – und bringen derzeit die drakonische Null-Covid-Strategie Chinas ins Wanken.
Studie sieht mögliche Entstehung in HIV-Patienten
Omikron besass im Vergleich zum ursprünglichen Sars-CoV-2 aus Wuhan eine ungewöhnlich hohe Zahl von etwa 30 Aminosäure-Änderungen allein im Spike-Protein. Die Vielzahl an Erbgutveränderungen brachte Experten zu folgender Annahme: Die Variante habe sich womöglich in einem Menschen mit HIV oder einer anderen Form von Immunschwäche entwickelt. Eine weitere Hypothese geht davon aus, Omikron habe sich in Tieren entwickelt und sei dann wieder auf den Menschen übergesprungen.
Die Idee hinter der Immunschwäche-Hypothese: In Menschen mit geschwächtem Immunsystem könnte sich Sars-CoV-2 über viele Monate vermehrt und Stück für Stück verändert haben. Alles, ohne je vom Immunsystem ganz ausgeschaltet zu werden.
Viele HIV-Patienten würden in Afrika nicht ausreichend therapiert, weshalb ihr Immunsystem deutlich geschwächt sei, hatten Experten erläutert. «Die vielen Mutationen sprechen für Entstehung in HIV-Patienten», hatte auch der damalige SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach gemeint.
Erste Vorläufer von Omikron schon im Sommer 2021
Für die «Science»-Studie untersuchten Charité-Wissenschaftler um Jan Felix Drexler zusammen mit afrikanischen Kooperationspartnern Corona-Proben. Diese wurden vor und nach der Omikron-Entdeckung in Südafrika gesammelt. Mehr als 13'000 Proben aus 22 afrikanischen Ländern wurden einem speziellen PCR-Test unterzogen.
Das Forschungsteam fand Viren mit Omikron-spezifischen Mutationen bei 25 Menschen aus 6 Ländern. Die Menschen waren bereits im August und September 2021 an Covid-19 erkrankt – Monate vor dem ersten Nachweis in Südafrika. Zusätzlich wurde bei rund 670 Proben das virale Erbgut entschlüsselt. Dabei wurden mehrere Viren gefunden, die Ähnlichkeiten mit Omikron aufwiesen, aber eben nicht identisch waren.
«Unsere Daten zeigen, dass Omikron verschiedene Vorläufer hatte. Diese mischten sich miteinander und zirkulierten zur selben Zeit und über Monate hinweg in Afrika», erklärt Drexler. «Das deutet auf eine graduelle Evolution der BA.1-Omikron-Variante hin, während der sich das Virus immer besser an die vorhandene Immunität der Menschen angepasst hat.»
Von Süd- nach Nordafrika in den Rest der Welt
Aus den Daten der Studie folgern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zudem: Omikron dominierte zuerst in Südafrika das Infektionsgeschehen. Danach breitete es sich innerhalb weniger Wochen von Süd nach Nord über den afrikanischen Kontinent aus.
«Das plötzliche Auftreten von Omikron ist also nicht auf einen Übertritt aus dem Tierreich zurückzuführen.» Gleiches gelte für die Entstehung in einem immunsupprimierten Menschen. «Doch das könnte zusätzlich zur Virusentwicklung beigetragen haben», so Drexlers Fazit.
«Dass wir von Omikron überrascht wurden, liegt stattdessen am diagnostischen blinden Fleck in grossen Teilen Afrikas. Dort wurden vermutlich nur ein Bruchteil der Sars-CoV-2-Infektionen überhaupt registriert.»