Europawahl-Prognose: Grosse Parteienfamilien ohne Mehrheit
Mehr als 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 Staaten - es war eine Superwahl in Europa. Erste Trends aus Deutschland zeigen ein böses Erwachen für Sozial- und Christdemokraten. Viele Gewinner stehen weit rechts.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Christ- und Sozialdemokraten werden nach erheblichen Verlusten erstmals nicht mehr in der Lage sein, alleine eine Mehrheit im Europaparlament zu stellen.
Liberale, grüne und rechte Parteien gewannen deutlich hinzu, wie aus der ersten Parlamentsprognose zur Europawahl hervorgeht.
Unter den 751 Abgeordneten des künftigen Europaparlaments wird die christdemokratische Europäische Volkspartei nach dieser Prognose auf 173 Sitze kommen, 43 weniger als bisher. Die Sozialdemokraten kämen demnach auf 147 Mandate (minus 38). Die Liberalen liegen bei 102 Mandaten, wenn die Mandate für die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mitgezählt werden (plus 33). Dahinter kommen die Grünen mit 71 Sitzen (plus 19). Die Linke verliert fünf Sitze und kommt auf 42.
Die bisher drei rechtspopulistischen und nationalistischen Fraktionen kommen zusammen auf 171 Sitze, 16 mehr als bisher. Es wird allerdings erwartet, dass Fraktionen sich neu sortieren und womöglich noch weitere Parteien für eine Allianz hinzugewinnen.
Die FDP blieb laut Prognose mit 5,5 Prozent allerdings nur wenig über ihrem Ergebnis von 3,4 Prozent 2014. Die Grünen schnitten laut Prognosen in Deutschland mit 20,8 bis 21,8 Prozent zwar ab, aber sie können europaweit keine allzu grossen Zugewinne erwarten. Auf Deutschland, wo es knapp 65 Millionen Wahlberechtigte gibt, entfallen 96 Sitze im EU-Parlament.
EU-freundliche Parteien werden aller Voraussicht nach auch im neuen Parlament rund zwei Drittel der Abgeordneten stellen. Ob sie breite Bündnisse schaffen, beeinflusst auch die Besetzung von Spitzenposten. Auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten hoffen , dessen EVP trotz allem stärkste Partei werden könnte, und der niederländische Sozialdemokrat Timmermans.
Mit besonderer Spannung wird für den späten Abend das Ergebnis der rechtspopulistischen Lega in Italien erwartet, da Parteichef Matteo Salvini . Der Lega wurden in Umfragen mehr als 30 Prozent Stimmanteil zugetraut, nach nur 6,2 bei der Europawahl 2014. Auch die neue Brexit-Partei in Grossbritannien konnte hoffen, stärkste Partei zu werden.
Die ersten Prognosen kamen vor allem aus einigen kleineren Ländern - und darunter waren einige offenkundige Ausreisser. In Österreich legte die konservative ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz deutlich zu, offensichtlich eine Folge des Videoskandals um den früheren Koalitionspartner FPÖ.
Nach gemeinsamen Berechnungen mehrerer Meinungsforschungsinstitute kommt die ÖVP auf 34,5 Prozent, das sind 7,5 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2014. Die FPÖ kommt trotz des Skandals auf 17,5 Prozent, ein Minus von 2,2 Prozentpunkten im Vergleich zu 2014.
Die sozialdemokratische SPÖ erreicht 23,5 Prozent, ein leichtes Minus von 0,5 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten EU-Wahl. Die österreichischen Grünen kommen mit 13,5 Prozent nahe an ihr historisch bestes Ergebnis von 2014 heran, als 14,5 Prozent erhielten. Die liberalen Neos liegen erneut bei 8 Prozent.
In den Niederlanden - das bestätigten Trends, die das Europaparlament am Sonntagabend veröffentlichte - lagen die Sozialdemokraten um den Europa-Spitzenkandidaten Frans Timmermans völlig unerwartet vorn und kamen auf 18,1 Prozent. Die rechts-liberale Regierungspartei VVD von Ministerpräsident Mark Rutte lag bei 15 Prozent, die christlich-demokratische Partei CDA bei 12,3 und die neue Rechtspartei FvD bei 11,0 Prozent.
In Irland stachen die guten Ergebnisse der Regierungspartei Fine Gael mit 29 Prozent und der Grünen mit 15 Prozent heraus. Auf Zypern lieferten sich die konservative zyprische Demokratische Gesamtbewegung DYSI und die linke Partei AKEL laut einer Prognose des Staatsrundfunks ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils 29 Prozent.
Zum Abschluss der hatten am Sonntag die Bürger in Deutschland und 20 weiteren Ländern über ihre neuen Abgeordneten für das EU-Parlament abgestimmt. In vielen der 28 EU-Staaten zeichnete sich eine zum Teil deutlich höhere Wahlbeteiligung ab als vor fünf Jahren.
Insgesamt waren mehr als 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 Ländern dazu aufgerufen, die 751 Abgeordneten im EU-Parlament zu wählen. Offizielle Ergebnisse wurden erst nach Schliessung der letzten Wahllokale in der EU um 23.00 Uhr in Italien erwartet.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte am Sonntag bei der Stimmabgabe: «Ein demokratisches Deutschland in einem vereinten Europa, das ist ein grosses Glück.». Das Interesse an der Wahl war in Deutschland grösser als früher. Im Wahlkampf war immer wieder die Rede von einer Schicksalswahl, weil ein Rechtsruck befürchtet wurde.