Ukraine-Krieg: Russischer Soldat will zu Kriegsverbrechen aussagen
Vor wenigen Monaten war er nahe Butscha im Ukraine-Krieg stationiert, jetzt möchte ein russischer Soldat vor einem internationalen Gericht als Zeuge dienen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein desertierter russischer Soldat sucht in Madrid Asyl.
- Er plant, vor Gericht als Zeuge zu Kriegsverbrechen auszusagen.
- Die Einheit von Nikita Chibrin (27) war im Frühling nahe Butscha stationiert.
Vier Monate lang kämpfte Nikita Chibrin (27) für Russland im Ukraine-Krieg. Im März war er mit der Selbstständigen 64. Garde-Mot-Schützenbrigade, der auch Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, in der Region Kiew unterwegs.
Mit den schrecklichen Taten will Chibrin aber nichts zu tun gehabt haben. Er habe zudem nicht ein einziges Mal eine Waffe abgefeuert im Krieg, erzählt er dem britischen «Guardian».
Das Interview verläuft telefonisch, vom Flughafen der spanischen Hauptstadt Madrid aus. Dort ist der Russe nämlich am vergangenen Dienstag gelandet und wurde prompt von den Behörden angehalten. Und dort hofft er darauf, politisches Asyl zu erhalten.
Soldat will vor internationalem Gericht gegen Krieg aussagen
Denn Chibrin ist bereits im Juni aus dem Ukraine-Krieg desertiert. Nun plant er, vor einem internationalen Gericht über das Erlebte zu berichten und als Zeuge für die Kriegsverbrechen zu dienen.
«Ich habe nichts zu verbergen», erklärt er dem «Guardian». «Der Krieg, den Russland begonnen hat, ist kriminell. Ich will alles tun, um ihn zu stoppen.»
Schon am ersten Tag der Invasion, am 24. Februar, habe er seinen Befehlshabern erklärt, er sei gegen den Krieg. «Sie haben gedroht, mich ins Gefängnis zu werfen», erinnert er sich.
Aber stattdessen wurde er seines Rangs als Mechaniker enthoben und für Reinigungs- und Transportarbeiten eingesetzt.
Im ersten Monat der Invasion ist die Einheit in Lypivka stationiert, 50 Kilometer von Kiew entfernt. Zwei Dörfer weiter liegt Butscha, wo Zivilisten im Ukraine-Krieg von Russen gefoltert und ermordet wurden.
Davon hat Chibrin nach eigenen Angaben nichts mitbekommen. Er berichtet aber von «verbreiteten Gerüchten», dass Soldaten seiner Einheit für Vergewaltigungen und Tötungen verantwortlich seien.
Zudem habe er beobachtet, wie Russen ukrainische Häuser plünderten. «Sie haben alles genommen, was es gab», erzählt er. «Waschmaschinen, elektronische Geräte, alles.»
Trotz der reichen Beute sei die Moral extrem tief gewesen. Alle hätten nach Wegen gesucht, um die Truppe verlassen zu können. «Aber unsere Kommandanten drohten, uns zu erschiessen, falls wir desertieren.»
Flucht aus Ukraine-Krieg in Lastwagen
Nach dem Rückzug der Russen aus der Region Kiew landete Chibrin mit seiner Einheit in Buhaivka nahe Charkiw. Am 16. Juni gelang es ihm, aus der Ukraine zu flüchten, indem er sich in einem Lastwagen versteckte.
So gelang er zurück nach Russland, woraufhin er mithilfe der Menschenrechtsgruppe «Gulagu.net» das Land verliess. Wladimir Osechkin, der Anführer der Vereinigung, bestätigte dies gegenüber dem «Guardian».
Andere Einzelheiten aus dem Bericht Chibrins konnten nicht unabhängig bestätigt werden. Jedoch besitzt er Bilder, die ihn zusammen mit seiner Einheit in der Nähe von Kiew zeigen.