Ukraine-Krieg: Selenskyjs Amtszeit endet – Steilpass für den Kreml?
Weil der Ukraine-Krieg Wahlen verunmöglicht, kann Wolodymyr Selenskyj nicht als Präsident bestätigt werden. Nun geht die offizielle Amtszeit zu Ende.
Das Wichtigste in Kürze
- Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj muss sich im Krieg nicht der Wiederwahl stellen.
- Kommende Woche würde nun seine eigentliche Amtszeit ablaufen.
- Ein Experte erklärt, inwiefern die russische Propaganda das ausnutzt – oder eben nicht.
Im März wurde Wladimir Putin mit einem Glanzresultat erneut zum russischen Präsidenten gewählt. Bei dem von Manipulationsvorwürfen überschatteten Urnengang holte er über 87 Prozent der Stimmen. Trotz Ukraine-Krieg konnte die russische Bevölkerung also – mehr oder weniger – wählen.
Ganz anders die Situation in der Ukraine: Auch im Nachbarland Russlands hätten im März Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen. Der Krieg verhinderte diese jedoch – und so bleibt Wolodymyr Selenskyj vorerst konkurrenzlos im Amt.
Nun gewinnt dieses Problem der abgesagten Wahlen wieder an Brisanz – denn am 20. Mai (Pfingstmontag) läuft Selenskyjs Amtszeit offiziell ab. Ab diesem Tag ist er sozusagen Präsident ohne Zustimmung des Volkes. Mit dem Kriegsrecht hat aber natürlich alles seine Richtigkeit.
Dennoch könnte der Kreml versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Wie unter anderem der «Kyiv Independent» berichtete, sollen die Russen eine gezielte Propaganda-Kampagne vorbereiten. Das Ziel: Die Legitimität Selenskyjs im Ukraine-Krieg zu untergraben – sowohl in der Ukraine als auch im gesamten Westen.
Wie Osteuropa-Experte Wolfgang Mueller von der Universität Wien gegenüber Nau.ch sagt, haben russische Politiker das im Ukraine-Krieg tatsächlich bereits thematisiert. Etwa der Duma-Abgeordnete Sergej Mironow rief dazu auf, den Präsidenten nicht über dessen Amtszeit hinaus anzuerkennen.
Mueller führt aus: «Es ist davon auszugehen, dass diese Tendenz, die wohl auch Zwietracht in der Ukraine stärken soll, zunimmt.»
Legitimität von Wahlen im Ukraine-Krieg wäre sowieso «zweifelhaft»
Dass die ablaufende Amtszeit in der Kreml-Propaganda jetzt eine Schlüsselrolle spielen könnte, glaubt Ulrich Schmid jedoch nicht. Der Experte von der Universität St. Gallen führt aus: «Dazu ist es zu juristisch.» Bisher habe das russische Staatsfernsehen entsprechend noch eher wenig Gebrauch davon gemacht.
Zudem betont Schmid, dass Wladimir Putin und seine Regierung die Legitimität des Ukraine-Präsidenten längst infrage stellen. «Dass Putin und seine Regierung Selenskyj nicht als legitimen Machthaber betrachten, ist seit langem klar. Deshalb hat die Frage eines allfälligen Auslaufens von Selenskyjs Amtszeit hier nur eine untergeordnete Bedeutung.»
Die Frage, ab wann genau jetzt Selenskyj nicht mehr offiziell Präsident wäre, ist also selbst in Russland nur ein Detail. Aber die Tatsache, dass die ukrainischen Wahlen im März nicht stattfinden konnten, wurde in Putins Propaganda sehr wohl ausgeschlachtet. Schmid erklärt: «Es wurden Stimmen laut, die der Ukraine eine Palastrevolution prophezeiten, weil die Präsidentschaftswahlen abgesagt wurden.»
Klar ist: Solange der Ukraine-Krieg läuft, sind Wahlen kaum denkbar. Millionen seien auf der Flucht, etwa zwanzig Prozent des Territoriums ist von Russland besetzt, so Schmid. «Sogar wenn man unter diesen Umständen Wahlen organisieren würde, dann wäre die Legitimität ihrer Resultate zweifelhaft.»
So oder so ist Wolodymyr Selenskyj im ukrainischen Volk weiterhin beliebt. «Die Zustimmung zum Kriegspräsidenten ist immer noch hoch», sagt Schmid. Entsprechend würde er wohl auch 2024 die Präsidentschaftswahl gewinnen. Auch Mueller betont, dass die Zustimmung für Selenskyj und die Amtszeitverlängerung durch das Kriegsrecht hoch sei.
Ex-Politiker fordert sogar den Rücktritt von Selenskyj
Der Präsident selbst hat sich Ende Februar ebenfalls zu seiner endenden Amtszeit geäussert. Versuche, seine Legitimität anzuzweifeln, seien ein «feindliches Narrativ». Sie würden zum Programm der Russischen Föderation gehören.
Die Frage, wie man mit dem Präsidentenamt weiterfahren soll, sorgte jedoch auch innerhalb der Ukraine für Diskussionen. Ex-Politiker Hryhorij Omeltschenko forderte beispielsweise sogar den freiwilligen Rücktritt Selenskyjs.
Justizminister Denys Maljuska stellte dagegen kürzlich gegenüber der «BBC» klar, dass Selenskyj im Amt bleibe. Seine Legitimität sei weiterhin gegeben – bis zur Aufhebung der Kriegsvorschriften und der nächsten Wahl.