Ukraine-Krieg: Trump fordert Neuwahlen – ist das Selenskyjs Ende?
Donald Trump fordert mitten im Ukraine-Krieg Neuwahlen in dem von Russland angegriffenen Land. Für Experten ist klar: Diese Forderung ist «absolut absurd».
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Das Wichtigste in Kürze
- Aufgrund des Kriegsrechts in der Ukraine musste sich Selenskyj keiner Wahl stellen.
- US-Präsident Trump fordert nun Neuwahlen und betreibt so «das Spiel Putins».
- Doch was bedeutet das für Selenskyj – wird er noch als legitimer Präsident wahrgenommen?
Die offizielle Amtszeit von Wolodymyr Selenskyj ist letztes Jahr zu Ende gegangen. Weil der Ukraine-Krieg weiterhin tobt, musste er sich nicht der Wiederwahl stellen. Er bleibt also Präsident.
Moskau fordert längst, dass in der Ukraine Wahlen nötig seien. Nun bläst auch noch US-Präsident Donald Trump ins gleiche Horn: Er gibt Selenskyj praktisch die Schuld dafür, dass der Ukraine-Krieg andauert. Die ukrainische Führung hätte «einen Deal machen können».
Zudem fordert Trump wie Russland Neuwahlen in dem Land, das seit Februar 2022 einen russischen Angriffskrieg abwehrt.
Wahlen während Ukraine-Krieg nicht möglich
«Trump übernimmt hier ein russisches Narrativ», sagt Russland-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen gegenüber Nau.ch. «Der Kreml weist seit einem Jahr darauf hin, dass Selenskyjs Amtszeit abgelaufen ist.»
Doch was bedeutet das für die Legitimität des ukrainischen Präsidenten?
«Präsidentschaftswahlen in der Ukraine würden die Aufhebung des Kriegsrechts voraussetzen», sagt Schmid. «Selenskyj selbst hat darauf hingewiesen, dass in diesem Fall seine Armee zerfallen würde.»
Und Osteuropa-Experte Nicolas Hayoz von der Universität Freiburg stellt klar: «Wer auch nur einigermassen Common Sense besitzt, kann sehen, dass die Ukraine im Zustand des Kriegsrechts keine Wahlen durchführen kann.»
Denn: «Wie soll man Wahlen durchführen in einem Land, das ständig von russischen Angriffen bedroht wird? Und wie sollten Wahlen glaubwürdig über die Bühne gehen, wenn 18 Prozent des ukrainischen Territoriums von den Russen besetzt ist?»
Ausserdem seien Millionen Menschen vor dem Ukraine-Krieg geflohen. In der heutigen Kriegssituation könnten diese nicht wählen. «Und wie soll das gehen mit der Armee an der Front?»
Er stellt klar: «Wer also denken kann, wird gleich einsehen, dass eine solche Forderung absolut absurd ist.»
Donald Trump wiederhole mit seiner Forderung nach Neuwahlen nur die russische. «Der Kreml versucht mit einer solchen Forderung die Ukraine zu spalten», erklärt Hayoz. «Um das von ihm verhasste Selenskyj-Regime durch jemand anderen abzulösen, der russlandfreundlicher gesinnt sein könnte.»
Ist Selenskyjs Ende also nah? Kaum.
«Selenskyj hat höhere Zustimmungsrate als Trump»
Selenskyjs Zustimmungsraten sind zwar gesunken, wie Russland-Experte Schmid erklärt. «Gleich nach dem russischen Überfall vor drei Jahren hatte Selenskyj Zustimmungsraten von 90 Prozent.» Die Zustimmung sei kontinuierlich gesunken und liege nun bei zirka 50 Prozent – dieser Rückgang sei aber normal.
«Es gibt auch in der Ukraine eine Diskussion über Neuwahlen», sagt Schmid. «Aber die Legitimität dieser Wahlen wäre sehr brüchig.»
Er hält fest: «Im In- und Ausland wird Selenskyj nach wie vor als legitimer Präsident wahrgenommen.»
Hayoz von der Universität Freiburg führt aus: «Selenskyj hat jetzt eine Zustimmungsrate von 57 Prozent, das ist höher als Trumps Zustimmungsrate.»
Experte sieht Präsidentschaft als nicht gefährdet
Man könne also sagen, dass «eine beachtliche Mehrheit» Selenskyj trotz Kriegsmüdigkeit und allen Widrigkeiten vertraue.
«Und Selenskyj ist 2019 mit 73 Prozent gewählt worden», fügt er hinzu. «Man kann davon ausgehen, dass Selenskyjs Unterstützung durch das Volk noch stärker steigen wird. Jetzt, da es darauf ankommt, die Interessen der Ukraine wirkungsvoll zu vertreten.»
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Der Experte hält fest: «Selenskyjs Präsidentschaft ist überhaupt nicht gefährdet. Sie wäre im Gegenteil erst dann gefährdet, wenn Selenskyj sich einem ‹Diktatfrieden› beugen würde.»
Dass Trump Selenskyj für den Beginn des Ukraine-Kriegs verantwortlich macht, sei «eine Schande» und «peinlich».
Im Grunde zeige das nichts anderes, als «dass Trump von der Ukraine, vom Krieg, überhaupt keine Ahnung hat. Und entgegen allen offen liegenden Fakten das Spiel Putins betreibt.» Der Kreml-Chef behauptet seit Jahren, dass Russland sich gegen das Kiewer «Nazi-Regime» verteidige.
Trump betrachtet Putin «als Freund»
Der ukrainische Präsident war auch nicht zum Treffen zwischen den USA und Russland in Saudi-Arabien eingeladen.
Hayoz sagt dazu: «Mit diesen russisch-amerikanischen Gesprächen wirft Trump alles über den Haufen, was in den letzten Jahrzehnten in den USA gegolten hat.» Nämlich, dass man Russland als Gegner betrachten müsse und Wladimir Putin nicht trauen könne.
Stattdessen sehe er den Kreml-Chef, der den Ukraine-Krieg angezettelt hat, «als Freund, dessen Land man nicht isolieren darf».
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«Er wäscht ihn rein von jeder Schuld, indem er Selenskyj die Verantwortung für den Krieg zuschiebt», so der Osteuropa-Experte. Somit stelle er sich «ganz klar» auf Putins Seite.
Dass ein Deal ohne Einbezug der Ukraine und der Europäer nicht funktioniere, sei ihm «wahrscheinlich egal». Und auch mit Putin werde Trump voraussichtlich zu keinem Ergebnis kommen.
«Aber symbolisch gesehen kann er mit seinen grossen Worten im eigenen Land Eindruck machen», erklärt Hayoz.
Und Russland-Experte Schmid sagt: «Das russisch-amerikanische Treffen in Riad sendet prekäre Signale an die Weltöffentlichkeit.» Ausserdem statte dieses den Kreml «mit einer neuen Legitimität aus».