Wahl in Nordirland: Sinn Fein auf Kurs zu historischem Ergebnis
Einst galt Sinn Fein als politischer Arm der militanten Organisation IRA (Irish Republican Army), nun könnte sie bald stärkste Kraft im Regionalparlament Nordirlands werden. Die Partei des vor einigen Jahren in den Ruhestand gegangenen Gerry Adams und anderen mehrheitlich katholischen Befürwortern der Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland dürfte Umfragen zufolge bei der Wahl am Donnerstag weit vor der protestantisch-unionistischen DUP (Democratic Unionist Party) landen.
Das Wichtigste in Kürze
- Zur Stimmabgabe aufgerufen waren rund 1,4 Millionen Menschen.
Gewählt wurden 90 Abgeordnete für die Northern Ireland Assembly, je fünf aus den 18 Wahlkreisen. Mit einem Ergebnis der Auszählung wurde frühestens am Freitagnachmittag gerechnet. Sollten sich die Umfragen bestätigen, wäre das ein symbolischer Wendepunkt in dem vor gut 100 Jahren geschaffenen Landesteil des Vereinigten Königreichs. Bisher war stets eine Partei als stärkste Kraft hervorgegangen, die sich für die Beibehaltung der Union mit Grossbritannien einsetzt.
Die Frage der irischen Einheit hat Sinn Fein unter der aktuellen Parteichefin Michelle O'Neill, die eine junge und progressive Generation verkörpert, vorerst zurückgestellt. Stattdessen setzte sie auf soziale Themen. O'Neill warb damit, eine Regierungschefin «für alle» sein zu wollen.
Trotzdem dürfte sich eine Regierungsbildung als schwierig erweisen. Der als Karfreitagsabkommen bekannte Friedensschluss aus dem Jahr 1998 sieht eine Einheitsregierung aus den grössten Parteien beider konfessioneller Lager vor. Als stärkste Kraft hätte Sinn Fein erstmals das Recht, den Regierungschef (First Minister) zu stellen. Ob die Regierungsbildung gelingt, hängt jedoch von der Zustimmung der DUP ab und gilt daher als fraglich.
Die DUP hat sich auf die kategorische Ablehnung des im Brexit-Abkommen festgelegten Sonderstatus für Nordirland eingeschossen und die vergangene Einheitsregierung im Streit darüber im Februar platzen lassen. Sie verlangt von der Regierung in London, die Abmachungen mit Brüssel zu kippen. Der britische Premierminister Boris Johnson behält sich die Option ausdrücklich vor, die im sogenannten Nordirland-Protokoll festgelegten Vereinbarungen zu brechen. Doch das dürfte eine heftige Reaktion aus Brüssel hervorrufen. Selbst ein Handelskrieg zwischen der EU und Grossbritannien gilt nicht als ausgeschlossen.
Das Nordirland-Protokoll soll verhindern, dass es wegen des britischen EU-Austritts zu neuen Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland kommt. Stattdessen müssen nun Waren kontrolliert werden, wenn sie von England, Schottland oder Wales nach Nordirland gebracht werden. Die DUP fürchtet, diese innerbritische Warengrenze könnte der erste Schritt zur Loslösung der Provinz von Grossbritannien sein.
Ob sich die DUP mit ihrer harten Linie einen Gefallen getan hat, gilt aber als fraglich. Sie muss mit einem katastrophalen Wahlergebnis rechnen. Hört man sich auf der Strasse in Belfast um, wird deutlich, dass viele Menschen auf beiden Seiten die Nase voll haben von der ewigen Hängepartie bei der Regierungsbildung und dem Gezänk zwischen Befürwortern der irischen Einheit und den Anhängern der Union mit Grossbritannien. Doch die abzusehende Lähmung bei der Regierungsbildung sorgt auch für Resignation. An baldige Fortschritte glaubt die 30-jährige Orla nicht, die am Donnerstag in West Belfast ihre Stimme abgibt. «Nichts wird sich ändern», sagt sie. Sinn Fein und die DUP würden sich doch wieder gegenseitig blockieren. Sie hat daher die Alliance Party gewählt.
Glaubt man den Umfragen, dürfte die Alliance die eigentliche Wahlsiegerin werden. Die Partei hat sich keinem der beiden konfessionellen Lager angeschlossen, sondern stellte Themen wie Gesundheit und bezahlbaren Wohnraum ins Zentrum ihres Wahlkampfs. Das schien gut anzukommen. In jüngsten Umfragen lag sie Kopf an Kopf mit der DUP und damit auf Kurs, ihr Ergebnis aus der vergangenen Wahl zu verdoppeln.