Weltklimarat dringt in Sonderbericht auf Kehrtwende bei Landnutzung

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Genève,

Ohne ein schnelles Umsteuern in der Land- und Forstwirtschaft wird die Menschheit in eine existenzbedrohende Spirale aus Erderwärmung und Nahrungsmittelknappheit geraten.

IPCC-Chef Hoesung Lee
IPCC-Chef Hoesung Lee - AFP

Das Wichtigste in Kürze

  • Experten sehen globale Ernährungssicherheit durch Klimawandel bedroht.

Das ist das Ergebnis eines umfassenden Sonderberichts zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Landnutzung, den der Weltklimarat IPCC am Donnerstag in Genf vorgestellt hat. Umweltorganisationen riefen die Bundesregierung eindringlich auf, angesichts der Befunde der internationalen Experten eine klimapolitische Wende einzuleiten.

In seinem 1200 Seiten starken Bericht fordert der Weltklimarat die Weltgemeinschaft zu einer sofortigen Kehrtwende bei der Landnutzung auf. Nach Ansicht der Wissenschaftler müssen die Ausbeutung von Land, die Abholzung von Wäldern und die Treibhausgasbelastung durch die Landwirtschaft drastisch reduziert werden. «Land steht unter immer grösserem menschlichem Druck», kritisierte IPCC-Chef Hoesung Lee.

Die Welt muss laut dem Sonderbericht mit einem Dilemma fertig werden: Genügend Land für den Klimaschutz wie für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung bereitzustellen.

Um das im Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossene Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, mithilfe von Bioenergie umzusetzen, wären riesige Landflächen für den Anbau von Biotreibstoffen wie Raps nötig. Doch die Weltbevölkerung wird Schätzungen zufolge von derzeit 7,7 Milliarden bis Mitte des Jahrhunderts auf zehn Milliarden Menschen anwachsen. Land steht daher nur begrenzt zur Verfügung.

Land und Klimawandel sind aufs Engste miteinander verknüpft. Wälder, Pflanzen und Böden speichern rund ein Drittel aller menschengemachten Treibhausgasemissionen. Die Ausbeutung dieser natürlichen Ressourcen trägt erheblich zum globalen Temperaturanstieg bei. Dem Sonderbericht zufolge sind die Agrarwirtschaft und ihre Zulieferer für 37 Prozent aller menschengemachten Emissionen verantwortlich.

Schon heute liegt der Temperaturanstieg über den Landflächen laut dem Bericht höher als im Durchschnitt der gesamten Erde einschliesslich der Meere - nämlich bei 1,53 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Um gegenzusteuern, schlagen die IPCC-Experten eine Reihe von Massnahmen vor: So sei Aufforstung eine der besten Methoden - denn Wälder tragen zur Abkühlung der Erde bei. Allerdings verbraucht allein die Landwirtschaft ein Drittel der Landfläche weltweit.

Problematisch ist den Experten zufolge auch die ungleiche Verteilung von Lebensmitteln. Zwei Milliarden Menschen seien übergewichtig, während 820 Millionen Menschen mangelernährt seien. Die Wissenschaftler hoben daher die Vorteile von «pflanzenbasierten Lebensmitteln» hervor, um den Treibhausgas-Ausstoss abzumildern.

Eine ausdrückliche Forderung nach einem Verzicht auf Fleisch vermied der Weltklimarat jedoch. «Einige Essgewohnheiten verursachen einen höheren Verbrauch von Land und Wasser und führen zu höheren Emissionen als andere», sagte der Ko-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe III, Jim Skea, lediglich.

Die Experten kritisierten auch die Lebensmittelverschwendung, die zur globalen CO2-Bilanz beiträgt - «25 bis 30 Prozent aller Nahrungsmittel» landen laut dem IPCC-Bericht im Müll. Die Verbraucher könnten zu Klimaschutz und Ernährungssicherheit beitragen «- bei der Wahl der Lebensmittel, die wir kaufen und indem wir keine Lebensmittel verschwenden», betonte die IPCC-Wissenschaftlerin Valérie Masson-Delmotte.

Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie hoffe, dass jeder die «Bedeutung» der Ergebnisse des IPCC-Berichts erkenne. «Mächtige Personen in einflussreichen Positionen» sollten den Bericht «definitiv lesen».

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bilanzierte aus dem IPCC-Sonderbericht: «Wir müssen jetzt die Priorität auf Klimaschutz setzen.» Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sprach sich für «mehr Nachhaltigkeit und die Schonung unserer Ressourcen» aus.

Umwelt- und Entwicklungsorganisationen wie Greenpeace, BUND und Germanwatch riefen die Bundesregierung zum radikalen Umsteuern bei Agrarpolitik und Waldschutz auf. «Eine Politik, die die Welt mit billigem Fleisch ernähren will, fährt das Klima vor die Wand», warnte der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Kai Niebert.

Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, warnte, «dass sich das Zeitfenster für entschlossene Massnahmen schnell schliesst». Der IPCC-Bericht bestätige, «dass wir vor einem planetaren Notstand stehen».

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