Amok-Rentner Kneubühl (76) soll verwahrt werden
«Amok-Rentner» Peter Hans Kneubühl (76) soll verwahrt werden. Darüber tagt das Gericht in Biel BE seit heute Morgen. Draussen sorgte ein Protest für Aufsehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Peter Hans Kneubühl (67) spielte vor zehn Jahren Katz und Maus mit der Berner Polizei.
- Er verweigert jegliche Therapie im Gefängnis.
- Jetzt soll der «Amok-Rentner» verwahrt werden. Vor Gericht erschien er nicht.
Vor zehn Jahren sorgte Peter Hans Kneubühl (76) für Schlagzeilen bis über die Landesgrenzen hinaus. Vor der Zwangsversteigerung seines Elternhauses in Biel BE schoss der Rentner einem Polizisten in den Kopf. Nach neuntägiger Flucht wurde der Kneubühl schliesslich gefasst.
Der Vertreter der Berner Vollzugsbehörde beantragt die Verwahrung von Kneubühl. «Er ist nicht behandelbar. Man versuchte alles. Die Wahrscheinlichkeit für Gewaltbereitschaft ist hoch.»
Auch die Sicherheit der Öffentlichkeit rechtfertige eine Verwahrung von Kneubühl. «Sie ist für ihn verhältnismässig. In der Verwahrung gibt es keine Therapien mehr und auch keine Zwangsmedikation.»
Kneubühl «gefangen in seinen Wahnvorstellungen»
Auch der Staatsanwalt fordert die Verwahrung von Kneubühl. «Er ist noch immer gefangen in seinen Wahnvorstellungen.» Er sehe sich noch immer im Kampf gegen die Behörden. «Er leidet an einer schweren psychischen Störung.» Auf die Stellungnahme von UPD-Chef Strik könne nicht abgestellt werden. «Ein Gutachter darf nicht behandeln», so der Staatsanwalt. «Herr Strik ist kein Gutachter.» Strik hatte am Morgen erklärt, Kneubühl sei nicht gefährlich und habe keine Wahnvorstellungen.
Der Pflichtverteidiger fordert die Freilassung von Kneubühl aus Sicherheitshaft. «Er darf nicht verwahrt werden. Zwangsräumungen und - versteigerungen können einen Menschen in Kampfmodus versetzen. Dazu müssen sie keine psychiatrische Störung haben.» Er kritisierte den Gutachter. Dieser habe sich nicht klar zum Rückfallrisiko geäussert. «Der Gutachter erstellte ein reines Akten-Gutachten.»
«Es wird für Herrn Kneubühl keine solche Situation wie im September 2010 geben. Er hat kein Wohneigentum mehr», sagt der Pflichtverteidiger. In den fast 10 Jahren seiner Inhaftierung finde sich in den vielen Akten kein einziger Hinweis auf Aggression oder Gewalt. «Wenn er etwas erreichen wollte, schrieb Kneubühl oder trat in den Hungerstreik.»
Mehrere Pannen bei der Berner Polizei
Über 1000 Berner Polizisten und zahlreiche weitere Spezialtruppen aus anderen Kantonen suchten nach der Tat vor zehn Jahren nach Kneubühl. Der Berner Polizei unterliefen dabei mehrere peinliche Pannen. So fahndete sie etwa fünf Tage lang fälschlicherweise mit dem Bild des Vaters nach Kneubühl.
Das Regionalgericht in Biel verurteilte Kneubühl 2013 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und Gefährdung des Lebens. Das Gericht befand, Kneubühl leide an einer schweren wahnhaften Störung. Er sei deshalb nicht schuldfähig. Kneubühl brauche eine stationäre psychiatrische Massnahme.
Kneubühl verweigert Therapie
Seit heute beschäftigt sich das gleiche Gericht in Biel erneut mit Kneubühl. Die Bewährungs- und Justizvollzugsbehörden des Kantons Bern wollen ihn jetzt ordentlich verwahren. Grund: Kneubühl verweigert jegliche Therapie und medikamentöse Behandlung.
Die Berner Behörde stützt sich dabei auf das Schweizerische Strafgesetzbuch. In Artikel 62c steht, wenn bei Aufhebung einer Massnahme ernsthaft zu erwarten sei, dass der Täter weitere Taten in der Art begehe, so könne das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verwahrung anordnen.
Kneubühl sitzt in Sicherheitshaft im Untersuchungsgefängnis in Thun BE. 2017 machte er einen Hungerstreik, weil er vom Thorberg BE nach Thun zurückverlegt werden wollte.
Kneubühl ist heute nicht vor Gericht erschienen. Er weigert sich, an der Verhandlung teilzunehmen. Dies aus Protest. Das Gericht entschied sich, den Rentner nicht ans Gericht zu bringen. «Es ist nicht zielführend, dass man Herrn Kneubühl unter polizeilicher Gewalt in den Gerichtssaal führt», so der Gerichtspräsident.
Psychatrie-Direktor hält Kneubühl nicht für gefährlich
Unterdessen sagt auch Werner Strik, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik UPD in Bern, vor Gericht aus. Strik lernte Kneubühl im Februar 2017 kennen, als dieser seinen Hungerstreik machte. Kneubühl verweigerte zuerst ein Gespräch mit Strik. «Durch seinen Hungerstreik wollte er eine PUK erzwingen, um das ihm erfahrene Unrecht aufzuarbeiten.»
Kneubühl sei der Meinung, er habe jahrzehntelanges Unrecht durch seine Schwester erlitten. Kneubühl stiess auch Drohungen aus. «Mit psychotherapeutischen Methoden kamen wir recht gut voran, so dass er den Hungerstreik abbrach», sagt Strik. «Es stand die Diagnose einer psychotischen Störung im Raum.»
Kneubühl wurden damals Medikamente gegen seinen Willen gegeben. «Wir führten zwei Therapieversuche mit Medikamenten durch. Es gab aber nur eine geringe Symptomverbesserung», sagt Strik.
Psychiater: «Kneubühl leidet nicht unter Wahnvorstellungen»
Kneubühl leide laut Strik nicht unter Wahnvorstellungen. «Die Diagnose der wahnhaften Störung lässt sich bei Kneubühl nicht bestätigen.» Es sei eine Ausnahmesituation gewesen, als die Polizisten vor zehn Jahren sein Elternhauses in Biel umstellten. «Wenn es nicht zur Versteigerung des Hauses gekommen wäre, wäre Kneubühl möglicherweise ein Eigenbrötler geblieben.»
Strik betreute Kneubühl sechs Monate lang in der Klinik. Er sagt heute über Kneubühl: «Er ist ungefährlich, wenn er nicht in die Enge getrieben wird.» Vor zehn Jahren sei es das erste Mal gewesen, dass Kneubühl gewalttätig wurde. «Und da war er ja tatsächlich umzingelt von Enzian-Polizisten. Es hat also sehr viel gebraucht», sagt Strik. «Er schätzte die Situation als lebensgefährlich ein. Seine Einschätzung war realistisch.» Heute könnte man deeskalierend in so einer Situation agieren.
Die Haltung von Kneubühl gründe in einer «ungewöhnlichen Aneinanderkettung von drastischen Lebensereignissen», sagt Strik. Kneubühl lag jahrzehntelang mit seiner Schwester und den Behörden im Clinch.
Kneubühl leidet laut dem Experten unter einer Persönlichkeitsstörung. Aber: «Er ist nicht paranoid.»
Eine übliche Massnahmentherapie sei für Kneubühl nicht geeignet. «Er verbrachte in unserer Klinik viele Stunden zufrieden mit Schreiben», sagt Strik. «Die sprachliche Erregung steht bei Kneubühl im Vordergrund.» Der Experte empfiehlt «eine regelmässige engmaschige Beobachtung». Er glaube aber nicht, dass Kneubühl das Einleuchten würde. «Hätte er aber einen Raum und einen Tisch als Schreibmöglichkeit, würde er mitmachen.»
Er denke auch, dass Kneubühl eine regelmässige Meldepflicht einhalten würde. Man müsse Kneubühls Drang, sich schriftlich auszudrücken, nachgeben. «Er muss die Möglichkeit haben, sich zu äussern», sagt Strik.
Gutachter traf Kneubühl nie persönlich
Der forensische Gutachter Elmar Habermeyer Er erstellte insgesamt zwei Gutachten zu Kneubühl. Er hat ihn aber nie persönlich getroffen, weil sich Kneubühl weigerte. Er erstellte die psychiatrischen Gutachten auf Basis von Akten.
Habermeyer sagt das Gegenteil wie sein Berufskollege zuvor. «Kneubühl leidet unter einer anhaltenden wahnhaften Störung», sagt der Gutachter. «Der Konflikt mit der Schwester hat über die Jahre ein Ausmass angenommen, dass nicht mehr nachvollziehbar ist. Alle hängt mit diesem Grundkonflikt zusammen.» Kneubühl hatte seine Stelle als Lehrer gekündigt, weil er Angst hatte, er werde im Klassenzimmer verhaftet. «Er wollte der Schule die Scham ersparen», sagt der Gutachter.
Die Wahnvorstellungen illustriert der Experte mit Beispielen: «Er sagt, der Staatsschutz habe verhindern wollen, dass er sich im Kanton Bern niederlasse. Er geht davon aus, dass er seit mindestens 1992 kontinuierlich überwacht wurde. Deshalb brach er den Kontakt zu Bekannten ab. Er denkt, dass seine Schwester in Geldwäscherei verstrickt ist und Kontakte zur Politik hat.»
Kneubühl sei aber nicht schizophren. Er sei im September 2010 sicher in der Situation gewesen, dass ihm sein Bezugsort weggenommen wird. «Er führte das auch zurecht auf Aktivitäten seiner Schwester zurück. Sicher sah er sein Leben bedroht durch die Polizei und die Behörden», sagt der Gutachter. «Da war es logisch, sich zu wehren, um sich selbst zu helfen.»
«Anhaltende wahnhafte Störung»
Das Problem sei, dass Kneubühl nicht anerkenne, dass er krank sei. «Die Fronten haben sich sogar noch verhärtet.» Die Therapiechancen bei Kneubühl beurteilt der Psychiater als «wenig aussichtsreich».
Kneubühl könne nicht aus der Haft entlassen werden. Er sei nicht bereit, für Haft-Lockerungen Kompromisse zu machen. «Ich sehe deshalb keine Arbeitsbasis für eine Bewährungshilfe.»
Kneubühls Krankheitssymptome verhinderten, dass er mit Behörden kooperiere.: «Er würde sich bei einer Freilassung sehr schnell wieder in der gleichen Situation wiederfinden, wie seit 1992. Herr Kneubühl würde sich wieder von Polizei und Justiz verfolgt fühlen. Er könnte auch gewalttätig werden.»
Der Gutachter sagt, es gebe auch ein grosses Rückfallrisiko: «Das Haus von Kneubühl wurde ja versteigert. Er denkt, die neuen Hausbesitzer wohnten illegal in seinem Elternhaus. Auch die Waffe konnte bis heute nicht gefunden werden.» Das gebe dem Fall eine gewisse Brisanz. «Es würde Probleme geben.»
Protestaktion vor dem Gericht
Vor dem Gerichtsgebäude sorgt dafür eine andere Protestaktion für Aufsehen. Johannes Zweifel (69), der Kneubühl seit sieben Jahren regelmässig im Gefängnis besucht, startete eine Protestaktion.
Das Gericht wird heute einen forensischen Gutachter befragen. Dann folgen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und des Pflichtverteidigers von Kneubühl.
Das Urteil wird morgen Freitag verkündet.