Coronavirus: Ex-Mitglied Tanner kritisiert Task Force scharf
Die Gefahr durch die Mutationen des Coronavirus sind das heisse Eisen schlechthin. Nun widerspricht ausgerechnet Ex-Mitglied Marcel Tanner der Task Force.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Task Force warnt seit Wochen vor steigenden Fallzahlen aufgrund der Mutationen.
- Präsident Martin Ackermann geht von einer erhöhten Ansteckung von 50 Prozent aus.
- Ex-Task-Force-Mitglied Marcel Tanner kritisiert die Worst-Case-Kommunikation.
«Die Schweiz macht es eigentlich gar nicht so schlecht», gab sich heute BAG-Krisenchef Patrick Mathys vorsichtig optimistisch. Doch hinter den Kulissen ist ein Streit entfacht, dessen Eskalationskurve steil nach oben zeigt. Seit Wochen rechtfertigt der Bund das Hinauszögern von Lockerungen mit den Mutationen.
Besonders die britische Variante des Coronavirus ist auf gutem Wege, das Infektionsgeschehen in der Schweiz zu dominieren. Erst letzte Woche warnte Task-Force-Chef Martin Ackermann, die Mutation sei 50 Prozent ansteckender als die Ursprungs-Variante.
Doch die Zweifel daran sind gross. Nachdem der Ur-«Mr. Corona» Daniel Koch Zweifel an der Gefahr durch Mutationen verlauten liess, spricht nun auch Epidemiologe Marcel Tanner Klartext. Sein Wort hat Gewicht: Er ist nicht nur seit kurzem Ex-Mitglied der Task Force, sondern auch Präsident der Akademien der Wissenschaften.
Zu viel «Worst-Case» im Kampf gegen das Coronavirus
Wie Tanner gegenüber den Tamedia-Zeitungen klarstellt, sind die neuen Varianten des Coronavirus «nicht pathogener als das Original». Der Impfstoff wirke auch gegen die Mutanten des Coronavirus.
«Nun müssen wir diese guten Nachrichten kommunizieren und nicht nur Worst-Case-Szenarien aufzeigen.» Ein direkter Affront gegen die Task Force. So rechnete diese vor einer Woche vor, wie die Fallzahlen bereits gegen März stark ansteigen könnten.
Die Worst-Case-Szenarien würden Angst und Panik schüren, «das sind schlechte Leitlinien». Tanner: «Wer immer nur warnt und Angst schürt, kommt kaum zum Ziel.» Die Task Force habe viele wichtige Inputs gegeben, welche jedoch zu wenig von Medien und Politik wahrgenommen würden.
Auch wenn eine Variante ansteckender sei, gelinge es der Schweiz heute, sie zu kontrollieren.
Der Epidemiologe gibt auch Einblick in seine Arbeit in der Task Force. Der Fokus auf die eigene Disziplin und teils fehlende Bereitschaft, ganzheitlich zu denken und handeln, habe ihn «oft betrübt». Es mache ihn jetzt noch traurig.
Oft würden wissenschaftliche Leistungen nicht als Gruppenleistungen honoriert. «Die Wissenschaft honoriert zu sehr die Selbstprofilierung», klagt der Basler.
Ein Kränzchen bindet Tanner der neuen BAG-Chefin Anne Lévy: Das Bundesamt sei mit ihr noch besser aufgestellt. Aber auch Lévy kämpfe gegen die Fragmentierung. «Schon das Organigramm sieht aus wie ein riesiges Schrebergartenfeld.» Das erschwere es dem Bundesamt, rasch, kohärent und gut zu kommunizieren.
Beizen-Öffnung und Konzerte zulassen «riesiger Benefit»
Wirtschaft, Politik und nicht zuletzt die Bevölkerung drängen diese Tage auf eine rasche Lockerung des Lockdowns und eine Exit-Strategie. Auch Tanner hält Lockerungen für notwendig. Es brauche Perspektiven und einen Ausstiegsplan, fordert er gegenüber den Tamedia-Zeitungen.
«Wenn wir beispielsweise Restaurants öffnen und Konzerte zulassen, haben wir einen riesigen Benefit: Volkszufriedenheit und mentale Gesundheit.» Und darum gehe es nun: Risiko und Benefit abwägen, damit nicht dieselben Fehler wie letzten Sommer passieren.
Wie Gesundheitsminister Alain Berset sieht auch Tanner das Zulassen der Grossveranstaltungen als einen der grössten Fehler der Öffnung damals. Womöglich hätten die Behörden die Schutzkonzepte besser kontrollieren und nur die schwarzen Schafe sanktionieren sollen.