Coronavirus: Wahrscheinlich hat die Schweiz mindestens 5x mehr Fälle
858 Personen sind in der Schweiz mit dem Coronavirus angesteckt. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein, zeigt eine Analyse. Was bedeutet das?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Schweiz kämpft gegen das sich verbreitende Coronavirus – derzeit sind 858 angesteckt.
- Ein Wissenschaftler hat nun errechnet, dass die tatsächliche Anzahl vielfach höher ist.
- Das bedeutet, dass die Krankheit in der Schweiz bereits tausende angesteckt hat.
Tomas Pueyo hat gerechnet. Und seine Resultate zum Ausmass der Coronavirus-Pandemie sind brisant. Sie zeigen: Die Lage ist viel ernster als bisher bekannt. Doch der Reihe nach.
Coronavirus: Erkenntnisse aus China
Tomas Pueyo ist ein französisch-spanischer Verhaltenspsychologe, der nach seinem Studium an der Stanford University in Kalifornien nun im Sillicon Valley arbeitet. Pueyo analysierte in seinem Artikel die verfügbaren Daten aus verschiedenen Ländern zum Coronavirus. Die Grafik zeigt deutlich, dass die Ausbreitung exponentiell verläuft.
Pueyo nahm zunächst die Entwicklung in China unter die Lupe. Hier unterscheidet er zwei Wellen: Die Welle der bestätigten Corona-Fälle erreichte in China am 4. Februar ihren Höhepunkt. Allerdings: In Wahrheit hinkte dieses Bild der tatsächlichen Anzahl Fälle um etwa zwölf Tage hinterher.
Die Regierung glaubte am 21. Januar also, es gäbe rund 100 neue Fälle – in Wahrheit gab es da bereits 1500 Infizierte. Die Behörden dachten, die Fälle würden zu diesem Zeitpunkt explodieren, während diese Corona-Explosion tatsächlich bereits eine Woche zuvor geschehen war.
Doch China reagierte schnell: Zwei Tage darauf riegelten die Behörden die Stadt Wuhan komplett ab. Pueyo betont: «Beachten Sie diese Zahl: Schon bei 400 neuen Fällen pro Tag beschloss die chinesische Regierung die Stadt komplett abzuschotten. Dabei lag die Zahl an diesem Tag in Wirklichkeit bei 2500 Fällen, doch das wussten sie nicht.»
Verzögerung vermittelt falschen Eindruck der Realität
Der Verlauf der tatsächlichen Fälle – der grauen Welle oben – zeigt noch etwas anderes: Sobald Wuhan am 23. Januar abgeriegelt wurde, beginnt die Kurve zu sinken. Bis dahin waren die Corona-Fälle exponentiell angestiegen. Und gemäss offizieller Statistik stiegen die Fälle für weitere zwölf Tage exponentiell an.
Der Grund für die Verzögerung: Die Symptome der Infizierten traten erst zeitverzögert zutage, daher suchten die Betroffenen erst einen Arzt auf, nachdem sie bereits mehrere Tage angesteckt waren. Erst dann wurden sie durch die offizielle Statistik erfasst.
Was bedeuten die Erkenntnisse für die Schweiz?
Auch ausserhalb Chinas verbreitet sich das Virus exponentiell. Durchschnittlich vergehen, so Pueyo aufgrund der verfügbaren Daten, gut 17 Tage zwischen Ansteckung und Tod. Die Sterberate ist im Durchschnitt bei gut einem Prozent. Pro 100 Infizierte stirbt also eine Person.
Das bedeutet folglich: Stirbt an Tag X eine Person am Coronavirus, ist die tatsächliche Zahl der angesteckten Personen zu dieser Zeit etwa 800. Denn der Tote hatte sich 17 Tage zuvor angesteckt, bei einer Verdoppelungsrate von etwa sechs Tagen hat sich die Zahl der Angesteckten um den Faktor 2^(17/6), also etwa 8, vervielfacht.
Oder anders: Am Tag der Ansteckung existierten 100 Infizierte, welche sich während den 17 Tagen bis zum Tod eines der Infizierten verachtfachten: also gibt es am Todestag in Realität 800 Infizierte.
Für Frankreich errechnet Pueyo, dass die Zahl der Angesteckten statt der offiziellen 1400 Fälle wohl zwischen 24'000 und 140'000 liegen muss. Den höheren Wert errechnet er aus den Zahlen aus der Wuhan-Grafik mit den zwei versetzten Wellen. Auch Spanien hat demnach über 20'000 Fälle.
Umgemünzt auf die Schweiz würde das bedeuten: Die Zahl der tatsächlich angesteckten ist – bei sieben Toten – bei 5600, offiziell sind es nur 858 (Stand 12.3.). Im schlimmeren Szenario über 24'000.
Wuhan wurde bereits bei täglich 400 neuen Fällen abgeriegelt, betont Pueyo. «Wuhan war bei den Fallzahlen, wie sie jetzt die USA, Spanien, Frankreich, Iran, Deutschland, Japan oder die Schweiz haben, bereits gesperrt.»