Experte sieht Zürcher Bahnhofstrasse bald als teuren «Einheitsbrei»
Viele Zürcher bedauern die geplante Schliessung von Jelmoli. Experten befürchten, dass sich die Bahnhofstrasse noch stärker zu einer Luxus-Strasse entwickelt.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Jelmoli-Kaufhaus in Zürich macht per Ende 2024 dicht.
- Teure Luxusgeschäfte könnten sich nun noch stärker durchsetzen.
- Drei Experten schätzen für Nau.ch die Zukunft der Bahnhofstrasse ein.
Ende 2024 ist es so weit: Das Traditionsgeschäft Jelmoli schliesst seine Tore. Grund dafür ist der sinkende Umsatz.
2027 soll die Liegenschaft wieder öffnen, bis dahin wird umgebaut. Auch das Kaufhaus Manor ist bereits zu, die Modissa schloss im Sommer 2022 und der Grieder zieht vom Paradeplatz weg. Wie wird sich all dies auf die Stadt Zürich und vor allem die Bahnhofstrasse auswirken?
Christian Fichter, Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Kalaidos, sieht die Entwicklung kritisch. Die Bahnhofstrasse werde «uniformer» und nur noch «Einheitsbrei auf preislich höchstem Niveau» bieten.
Er befürchtet, dass sich das Angebot auf den «Luxuskonsum für eine praktisch nur noch internationale Kundschaft beschränkt, die nicht weiss, was sie mit dem vielen Geld anfangen soll».
Überleben könne nur, wer maximale Margen erwirtschaftet. «Typischerweise sind das Boutiquen, in denen qualitativ eigentlich recht durchschnittliche und oftmals ganz unpraktische Kleider mit exklusivem Nimbus und überhöhtem Designer-Image zu völlig überteuerten Preisen angeboten werden», sagt er auf Anfrage von Nau.ch.
Die Bahnhofstrasse passe sich somit den veränderten betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen an: höhere Mieten, internationale, kaufkräftige Kundschaft.
Werner Huber, Co-Geschäftsleiter des Architektur-Verlags Hochparterre, sagt, es sei anzunehmen, dass sich die Luxusmarken vor allem gegen den See ausbreiten. Aber: «Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass das Angebot Richtung Hauptbahnhof vielfältiger wird.»
Dort sei die Kundenfrequenz besonders gross, und ein attraktives Geschäft oder Restaurant könne als Attraktor wirken. «Vielleicht werden kombinierte Angebote von Online-Shopping und kleineren stationären Geschäften zunehmen, so wie es manche erwarten.»
Durch hohe Mieten müssen «Margen stimmen»
Einerseits pflichtet Rudolf Minsch von Economiesuisse dem bei: «Da die Mietpreise sehr hoch sind, müssen an der Bahnhofstrasse die Kundenfrequenz und die Margen stimmen.»
Andererseits entgegnet er: Es gehe nicht in erster Linie um Luxus, sondern um qualitativ hochstehende Produkte, die über eine hohe Bekanntheit verfügen. «Viele davon sind durchaus für alle erschwinglich. Eine Swatch beispielsweise kostet ja nicht ein Vermögen.»
Auch Christian Fichter kann aus der Entwicklung positive Aspekte hervorheben. «Eine Folge dieser Entwicklung ist ja, dass neue, spannendere Einkaufsstrassen entstehen, die atmen und in denen sich die kreativen Köpfe noch ausleben können.»
Er habe das Gefühl, dass sich schon lange immer weniger Zürcherinnen und Zürcher an die Bahnhofstrasse verirren.
Denn auch bei den Cafés und Bars befürchtet Fichter, dass es bald nur noch solche im «höchsten Preissegment» geben wird. «Schliesslich müssen sich die Luxuskunden ja verpflegen.»
In diesen Cafés werde man aber nicht mehr auf Schweizerdeutsch bestellen, sondern auf Englisch. «Damit kein Missverständnis entsteht: Das ist normal, und das ist OK so», stellt Fichter klar. Die Wirtschaft wandle sich, und wir uns mit ihr. «Kaufen wir halt woanders ein.»