«Firmen überschätzen soziale Aspekte im Büro»
Voll flexibles Homeoffice ist in vielen grossen Schweizer Firmen wieder passé. Sie würden aber soziale Aspekte am Arbeitsplatz überbewerten, findet ein Experte.
Das Wichtigste in Kürze
- Das seit Corona eingeführte Homeoffice wird in Schweizer Firmen wieder seltener.
- Sie erkannten, dass die Arbeit von zu Hause aus nicht jedermanns Sache ist.
- Grundsätzlich würden Betriebe den persönlichen Austausch aber überbewerten.
Das Homeoffice hat durch die Corona-Pandemie zu einem Siegeszug angesetzt. Auch grosse Schweizer Firmen setzten darauf.
Doch mehrere Grosskonzerne ändern jetzt ihre Haltung. Bei Novartis müssen neu wieder mindestens 60 Prozent der Arbeitszeit im Büro verbracht werden. Auch die Swisscom will Angestellte seit April wieder mindestens zwei Tage vor Ort haben.
«Wahrscheinlich hat sich bei Auswertungen gezeigt, dass es bei manchen Menschen einen positiven, bei anderen einen negativen Effekt gab. Darum wird zurückgerudert», erklärt Unternehmensberater Mike Schwede auf Anfrage von Nau.ch.
Denn viele Mitarbeiter wurden zu Hause träge. «Es gibt auch Mitarbeiter, die einfach herumsitzen und nichts machen. Das verstärkt sich im Homeoffice, weil man hier nicht kontrollieren kann.» Gerade Grossunternehmen stellten oftmals viel mehr Personen ein, als sie eigentlich bräuchten.
Experte: Firmen überschätzen sozialen Aspekt auf der Arbeit
Die Betriebe begründen die Rückkehr ins Büro aber nicht mit der Trägheit, sondern meist mit dem fehlenden persönlichen Austausch. «Dieser Aspekt scheint den Firmen wichtig, wird aber meiner Meinung nach oft überschätzt», sagt Schwede. «Weder muss man seine Arbeitskollegen mögen, noch eine gemeinsame Kultur haben – man muss gemeinsam arbeiten können.» Freunde schaffe man sich privat.
In bestimmten Kulturen werde Berufliches und Privates sehr stark getrennt, in der Schweiz sei das nicht so. «Das hat auch seine positiven Seiten, diese wollen Unternehmen betonen. Viele Unternehmensführer träumen davon, dass man eine Familie, eine Kultur ist, alle kommen gerne zur Arbeit und mögen ihre Arbeitskollegen.»
Wie sehr sich die Arbeitnehmenden das überhaupt wünschen, sei derweil nicht klar. Menschen seien verschieden: «Es gibt manche, die im Homeoffice zu stark abgelenkt werden. Oder solche, die sich im Büro eher gestört fühlen, zum Beispiel, wenn viel herumtelefoniert wird.»
Eine grosse Rolle spiele aber auch die Art der Tätigkeit. Er erklärt es am Beispiel Elon Musk: «Bei Tesla geht es um hohe Ingenieurskunst, richtig krasses Zeug, dass die da machen. Da muss man extrem nah zusammenarbeiten.»
Dort mache es Sinn, dass die Leute zusammen in einem Büro sind und arbeiten. «Das schafft man nicht mit Videocalls. Da muss man an einem Tisch zusammensitzen und Lösungen finden.»
Schweizer Grossfirmen setzen auf hybride Modelle
Tatsächlich zeigt eine Umfrage von Nau.ch: Das «hybride Modell» ist seit der Pandemie bei grossen Schweizer Arbeitgebern beliebt. «Es sieht vor, dass Büromitarbeitende etwa die Hälfte ihrer Arbeitszeit von ausserhalb des Büros leisten können», erklärt zum Beispiel Nestlé.
Auch bei Roche setzt man seither auf ähnliche Aufteilungen. Die SBB hat entsprechende Regelungen bereits seit 2015. Glencore lässt Mitarbeiter seit der Pandemie selber entscheiden, betont aber ebenfalls, dass Anwesenheit gern gesehen ist.