Grosse Enttäuschung bei Rot-Grün nach Bundesgerichtsentscheid
Die einstimmige Abweisung der Beschwerde zur Frauenrentenalter-Erhöhung durch das Bundesgericht stösst im rot-grünen Lager auf grosse Enttäuschung.
Nach der einstimmigen Abweisung der Beschwerde über die Abstimmung zur Erhöhung des Frauenrentenalters durch das Bundesgericht hat sich grosse Enttäuschung im rot-grünen Lager breitgemacht. Trotz der Niederlage zeigte sich Letzteres im Nachgang kämpferisch. Mitte-rechts begrüsste den Entscheid derweil.
«Wir sind enttäuscht, wir sind traurig, wir sind wütend – zu Recht», sagte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer nach dem Entscheid in Lausanne. Die Behauptung, dass die AHV kurz vor dem finanziellen Ruin stehe und es keine Alternative zur Erhöhung des Frauenrentenalters gebe, sei während des Abstimmungskampfes falsch gewesen und sei es auch heute noch, fuhr sie fort.
Zugleich zeigte sich die Sozialdemokratin kämpferisch. «Heute sind wir enttäuscht, aber morgen kämpfen wir weiter. Morgen werden wir erfolgreich sein.»
«Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen»
Auch Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone – deren Partei neben den SP Frauen Beschwerdeführerin war – zeigte sich «wütend und verbittert» über die Ablehnung der Beschwerden gegen die AHV-Abstimmung von 2022 durch das Bundesgericht. Es sei ein Fehler festgestellt worden, doch sei dieser einfach banalisiert worden.
Auch zahlreiche Gewerkschaften – allen voran der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) – zeigten sich vom Bundesgerichtsentscheid enttäuscht. «Frauen bleiben um ein Jahr Rente betrogen», teilte der SGB mit. Dies, obwohl die Mehrheit der Frauen klar gegen die Reform gewesen sei. Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter gewichteten die Rechtssicherheit höher.
«Obwohl Frauen tiefere Renten haben, wurde mit der Rentenaltererhöhung einseitig auf ihrem Rücken gespart.» Nach dem heutigen Urteil bleibe die Politik daher erst recht in der Verantwortung, endlich etwas gegen die grosse Rentenlücke der Frauen zu unternehmen, hiess es weiter.
SVP-Nationalrätin Steinemann: Entscheid «sehr vernünftig»
Die Gewerkschaft Unia sprach von einem «mutlosen» Entscheid des Bundesgerichts. Er sei ein schwerer Schlag für die Frauen in der Schweiz. Auch der Gewerkschafts-Dachverband Travailsuisse und die Gewerkschaft Syna kritisierten den Entscheid. Es sei fraglich, ob die Bevölkerung der Erhöhung zugestimmt hätte, wenn die Finanzlage der AHV korrekt dargestellt worden wäre, teilte etwa Travailsuisse mit – und schloss weitere Rentenaltererhöhungen aus.
Ganz anders tönte es aus den Reihen von Mitte, Mitte-rechts und Rechts. SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann bezeichnete den Bundesgerichtsentscheid als «sehr vernünftig». Es wäre rechtsstaatlich bedenklich, wenn die Abstimmung aufgrund von Prognosen wiederholt worden wäre, sagte die Zürcherin auf Anfrage von Keystone-SDA.
Wäre die Abstimmung zum Frauenrentenalter nun wiederholt worden, hätte auch die Abstimmung zur 13. AHV wiederholt werden müssen. Dies, weil die Ausgangslage anders gewesen wäre, wenn Frauen nur bis 64 arbeiten müssten, sagte Steinemann.
Silberschmidt: Entscheid unterstreicht Handlungsbedarf bei AHV
Die Mitte respektiere den unabhängigen Entscheid des Bundesgerichts. Er stärke das Vertrauen in Demokratie und Institutionen, teilte die Partei auf dem Online-Portal X mit. «Gerade angesichts der zunehmenden Polarisierung ist es zentral, dass unsere Institutionen reibungslos funktionieren und respektiert werden, damit sie unabhängig arbeiten können,» schrieb die Mitte. Die Partei werde sich weiterhin für eine sichere AHV einsetzen.
FDP-Vize-Präsident und Nationalrat Andri Silberschmidt nahm den Entscheid des Bundesgerichts derweil zur Kenntnis. Das Ergebnis der Abstimmung sei nicht nur aufgrund der Zahlen, sondern wegen des Bedürfnisses nach Gleichstellung zustande gekommen. Der Handlungsbedarf bei der AHV sei nach wie vor enorm, sagte der Zürcher auf Anfrage von Keystone-SDA. Es gehe darum, die AHV für die nächsten Generationen sicherzustellen.
Forderung nach tragfähiger Lösung für AHV-Reform 2026
Auch der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) begrüsste den Bundesgerichtsentscheid. Eine Annullierung hätte unverhältnismässigen Aufwand bedeutet und zahlreiche Fragen zum weiteren Vorgehen aufgeworfen, hiess es in einer Mitteilung. Weiter sei es im Sinne der Gleichberechtigung und der Lebenserwartung fair, wenn Frauen und Männer dasselbe offizielle Referenzalter haben.
Man erwarte vom Bundesrat nun eine tragfähige Lösung im Rahmen der AHV-Reform 2026, die eine realistische Erhöhung des Referenzalters gemäss Lebenserwartung vorsieht. Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) begrüsste den Entscheid ebenfalls. Er sei ein «wichtiger Schritt für den Fortbestand des Systems der Altersvorsorge in der Schweiz».
Bundesrat reagiert auf Urteilsentscheid
Der Bundesrat nahm den Urteilsentscheid zur Kenntnis. Er warte die ausführliche schriftliche Urteilsbegründung ab und werde die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen, hiess es in einer Mitteilung. Die Korrektheit der Daten im gesetzgeberischen Prozess sei zentral für die Meinungs- und Entscheidungsfindung von Bundesrat, Parlament, Bevölkerung und politischen Akteuren, schrieb die Landesregierung weiter.
Zur Verbesserung und Sicherstellung verlässlicher Entscheidgrundlagen habe der Bundesrat die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) angefragt, ein Mandat zur einmaligen Überprüfung der Qualitätssicherung der Daten, Prognosemodelle und Methodik anzunehmen.