Machos belästigen kleine Frauen mehr als grosse
Eine 1.80 Meter grosse Frau erzählt Nau.ch, sie werde kaum belästigt – ihre kleineren Freundinnen schon. Sie vermutet ihre Grösse als Grund. Was dahintersteckt.
00:00 / 00:00
Das Wichtigste in Kürze
- Kleinere Frauen scheinen ein erhöhtes Risiko zu haben, verbal belästigt zu werden.
- Der Grund: Tätern geht es oft darum, Dominanz zu markieren.
- Da liegt es nahe, dass sie Opfer auswählen, die ihnen unterlegener scheinen.
Plumpe Sprüche im Ausgang oder auf der Strasse: die meisten Frauen kennen sie. In einer Strassenumfrage in Zürich von Nau.ch erklärten alle Befragten, schon verbal belästigt worden zu sein.
Alle Befragten – mit einer Ausnahme: Passantin Jessica, die einen konkreten Grund dafür vermutet. Ihre Körpergrösse.
Sie sagt: «Ich persönlich hatte in der Vergangenheit nicht wirklich grossen Kontakt damit. Aber ich glaube, weil ich sehr viel Selbstbewusstsein ausstrahle und 1.80 Meter gross bin, passiert mir das weniger.»
Sie habe jedoch Freundinnen, die kleiner seien als sie. Und von ihnen bekommt sie oft die Rückmeldung, dass sie wieder belästigt worden seien.
Zufall? Oder suchen sich Täter tatsächlich gezielt kleinere Frauen heraus?
Kleinere Frauen können «eher als angreifbar erscheinen»
Roland Limacher ist Sozialpädagoge und berät bei der Luzerner Beratungsstelle Agredis Männer, die Gewalt anwenden.
Auch er vermutet einen Zusammenhang mit der Grösse. «Es ist plausibel, dass die wahrgenommene körperliche Unterlegenheit eine Rolle spielt», sagt er zu Nau.ch.

«Es liegt nahe, dass Täter oft Opfer auswählen, die sie als verwundbarer oder unterlegener einschätzen. Kleinere Frauen könnten in diesem Kontext eher als angreifbar erscheinen, was sie häufiger zur Zielscheibe macht.»
Grosse Frauen wiederum dürften weniger in das typische Täter-Opfer-Schema passen.
Limacher erklärt: «Grössere Menschen, unabhängig vom Geschlecht, werden oft als selbstbewusster und durchsetzungsfähiger wahrgenommen. Das wirkt möglicherweise abschreckend.»
Es geht nicht ums Date – sondern um Macht
Dieses Muster könnte sowohl für Gewalt als auch für verbale Belästigung gelten.
Denn: Männern, die Frauen auf der Strasse hinterherpfeifen oder -rufen, geht es meist nicht um ein Date.
«Unsere Erfahrung und die Rückmeldungen von Klienten zeigen, dass solche Verhaltensweisen oft nicht aus ernsthaftem romantischem Interesse entstehen. Vielmehr dienen sie der Demonstration von Macht, Kontrolle oder Dominanz», erklärt der Gewaltberater.
Bestimmte Männer würden ihre Männlichkeit durch diese Machtdemonstrationen aufrechterhalten.
Zudem wird sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum laut Limacher häufig genutzt, um sich vor anderen Männern zu behaupten.
«Es geht darum, ein bestimmtes Männlichkeitsideal zu erfüllen oder die eigene Zugehörigkeit zu sichern, insbesondere in Gruppendynamiken.»
Gross-sein allein bietet keinen Schutz
Tatsächlich dürften Täter – bewusst oder unbewusst – also tatsächlich auf die Körpergrösse ihrer Opfer achten.
Doch Gewaltberater Limacher gibt auch zu bedenken, dass es zu einfach wäre, allein eine grosse Körpergrösse als Schutzmechanismus zu betrachten.

«Es spielen auch andere Faktoren wie Auftreten, Kleidung, Umfeld und soziale Normen eine Rolle.»
Auch eine Zürcherin erzählte Nau.ch in der Strassenumfrage, sie habe das Gefühl, im Sommer komme es häufiger zu Belästigung. «Einfach, weil man weniger anhat», vermutet sie.
Frauenrechtlerinnen warnen davor, Opfer zu fragen, was sie zum Tatzeitpunkt anhatten. Das impliziere, dass es eine Mitschuld hatte.
***
Brauchst du Hilfe?
Bist du Opfer von sexualisierter Gewalt geworden? Die Opferhilfe hilft dir dabei, die Erfahrung zu bewältigen und informiert dich über deine Rechte und weitere Schritte: www.opferhilfe-schweiz.ch.