Schweizerinnen & Schweizer geben Lesbos-Flüchtlingen neue Hoffnung
Ein Stück Stoff, ein Flüchtlingslager auf Lesbos und eine Vision. Die Freiburgerin Olivia Guler gibt Frauen auf der Flucht heute neue Hoffnung – mit Taschen.
Das Wichtigste in Kürze
- Menschen auf der Flucht betreiben auf Lesbos eine Schneiderei.
- Im Flüchtlingslager werden Taschen aus veganem Leder hergestellt.
- Von der Idee bis zur Umsetzung floss viel Schweiss, wie Gründerin Olivia Guler erzählt.
Ein altes T-Shirt, mit Flecken übersät, war der Startschuss für eine aussergewöhnliche Idee. Aus ihm und weiteren Stoffresten sollten Taschen entstehen. So die Vision eines jungen Flüchtlings auf Lesbos. Olivia Guler aus der Schweiz nahm sich dieser Idee an – und gibt Menschen auf der Flucht damit neue Perspektiven.
Frust über die Bürokratie
Gemeinsam mit der Afghanin Sarah rief Olivia Guler eine Schneiderei ins Leben. Die beiden lernten sich in einem Frauenhaus auf Lesbos kennen. Sarah sei dort – ziemlich unglücklich – als Aufseherin tätig gewesen, erzählt Guler. In ihrer Heimat arbeitete sie als Schneiderin, das war es, was sie erfüllte.
«Ich war Jahre lang in der Werbung tätig und brauchte selbst einen Perspektivenwechsel», sagt Guler. Sie stiess auf einen Artikel über die Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Von da an wusste sie, dass sie etwas bewirken wollte. Guler war erst für 14 Tage, anschliessend noch mal für zwei Monate auf Lesbos.
Wieder zurück in der Heimat liess die Schneiderei auf Lesbos sie nicht los. Sie blieb in Kontakt mit Sarah, wollte das Projekt weiterführen. Unzählige Stunden verbrachte sie mit bürokratischen Fragen.
«Wie kommen wir an Stoffe?» oder «wie verschiffen wir die Taschen in die Schweiz?». Alles Fragen, mit denen sich Guler konfrontiert sah.
Durch Zufall lernte sie Diana Siegrist und Markus Böninger kennen. Die beiden suchten unter dem Namen #EducationEveryone ein Projekt – Olivia Guler hatte eins anzubieten. Die drei holten auf Lesbos die NGO «Starfish Foundation» mit ins Boot, die sich um die Menschen und das Projekt kümmert.
Neue Perspektive auf der Flucht
Heute arbeiten stets zwei ausgebildete Schneiderinnen und Schneider für das Label #bagforeveryone. Gemeinsam mit der Projektleiterin Marjeke bilden sie weitere Menschen auf der Flucht zu Schneidern und Schneiderinnen aus. Die Menschen, sie stammen aus Syrien, Afghanistan und verschiedenen afrikanischen Ländern.
«Zuerst wollten wir nur Frauen involvieren. Doch es gibt viele talentierte männliche Schneider», erklärt Olivia Guler. Und es sei wichtig, Männer und Frauen zusammenzubringen.
Löhne dürfe man an Flüchtlinge keine auszahlen, erklärt Guler. «Aber für ihre Arbeit erhalten sie eine Perspektive, auch erhalten sie eine Vergütung.» Medikamente, Schminkzeug oder Artikel für den täglichen Hygienebedarf seien gefragte Güter, welche sie sich mit dem Erlös leisten können.
«Es genügt, wenn wir Menschen integrieren»
Die Taschen werden in vorsichtiger Handarbeit aus veganem Leder hergestellt. Jedes Stück ein Unikat. Die Kosten belaufen sich auf 100 Franken pro Tasche, wobei ein Teil des Erlöses den Flüchtlingen zugutekommt.
«Derzeit arbeiten wir an einem neuen Model – ein Rucksack ist geplant», sagt Guler. Im Monat würde #bagforeveryone rund 15 Taschen unter die Leute bringen. «Damit wir selbsttragend werden, müssen wir Spenden für 25 Taschen im Monat erhalten. Eigentlich nicht viel», so Olivia Guler.
Die Philosophie von #bagforeveryone ist simpel: «Die Leute hier denken, sie können nichts bewirken. Aber es muss nicht jeder nach Lesbos fliegen. Es genügt schon, wenn wir die Menschen auf der Flucht integrieren», sagt Guler.
Wenn man sie auf eine Wanderung mitnimmt, an ein Grümpelturnier einlädt oder ihnen einfach zuhört. Talente erkennen und Stärken verbinden – das ist es, was zählt.