Sex-Flaute! Männer haben oft keine Lust
In Schweizer Betten herrscht öfter Flaute als früher – entgegen dem Klischee sind es auch oft die Männer, die keine Lust haben. Was dahintersteckt.
Das Wichtigste in Kürze
- Es gibt Hinweise darauf, dass Männer weniger Lust auf Sex haben als früher.
- Möglich ist auch, dass einfach mehr darüber gesprochen wird – das Tabu bleibt gross.
- Eine Expertin sagt: «Die Gesellschaft setzt Männlichkeit mit ständiger Potenz gleich.»
«Wenn sie Sex nicht initiieren würde, hätten wir vielleicht monatelang oder sogar jahrelang keinen.» Und: «Ich bin zu erschöpft, um Lust zu empfinden.»
Das schreibt Simon* (43), der anonym bleiben will, in einem Gastbeitrag auf der Elternplattform «Mal ehrlich» von Ex-TV-Moderatorin Andrea Jansen.
Der Vater leidet darunter, wie er erklärt: «Ich hätte gerne mehr Sex. Also, ich hätte gerne mehr Lust auf Sex. Es stresst mich sehr, dass die Lust fehlt», gibt er zu.
Und damit ist er nicht allein.
Haben immer mehr Männer keine Lust?
Es ist ein Tabuthema: Männer, die keine Lust auf Sex haben. «Meistens wird die sexuelle Unlust Frauen zugeschrieben», sagt die Basler Sexologin Melina Dobroka zu Nau.ch.
Das ist ein Grund, warum keine eindeutigen Studien dazu existieren, ob die männliche Lust abgenommen hat. Hinweise gibt es jedoch.
Kürzlich untersuchte das US-amerikanische «Journal of Sex Research» die sexuelle Aktivität junger Menschen in 33 Ländern. Das Fazit: In fast allen nahm sie ab, in keinem einzigen nahm sie zu.
Dobroka erklärt: «Es wird zunehmend deutlich, dass sich sowohl das sexuelle Verlangen als auch das sexuelle Verhalten von Männern wandeln.»
Sie bezieht sich auf eine weitere Studie aus Deutschland. Dafür befragten Forschende 2018 und 2019 Männer und Frauen.
Es zeigte sich: «Anders als gesellschaftlich und medial dargestellt, gibt es zwischen Mann und Frau nicht so grosse Unterschiede bei der Lust.»
Testosteron, Diabetes und Pornos
Auch die Männer scheinen also immer weniger Lust zu haben. Weil die Forschung fehlt, lässt sich über die Hintergründe nur mutmassen.
Sexologin Melina Dobroka meint: «Es ist denkbar, dass unter anderem der weltweit sinkende Testosteronspiegel von Männern einen Einfluss auf deren Bedürfnis nach Sex hat.»
Hinzu kommen weitere Faktoren – etwa Krankheiten, die häufiger diagnostiziert werden. «Diabetes zum Beispiel hemmt die Lust», erklärt die Sexologin.
Und: Es ist heute so einfach wie nie, an Pornos zu kommen. «Auch das kann sich negativ auf die Lust auswirken», sagt die Expertin.
Laut einer Studie der Universität Antwerpen schauen Männer im Durchschnitt 70 Minuten Pornos pro Woche. Die Forschungsergebnisse zeigen: Wer viele Pornos konsumiert, bemerkt öfter negative Folgen für den echten Sex.
Männer haben wegen Stress Erektionsprobleme
Aber auch der gesellschaftliche Druck auf Männer wächst laut Dobroka. Bei Frauen kennt man die paradoxe Erwartung, gleichzeitig Karrierefrau, aber am besten nebenbei Vollzeit-Mami zu sein.
Bei den Männern ist es ähnlich: Sie sollten gleichzeitig Ernährer, aber auch liebevoller Papi sein.
«Auch das hat einen Einfluss auf das Bedürfnis nach Sex. Besonders dem Stresslevel schreibe ich eine grosse Bedeutung zu.»
Hat man(n) viel Stress, so wirkt sich das negativ auf die Erektions- und Orgasmusfähigkeit aus. «Und das wiederum hemmt die sexuelle Lust.»
«Gesellschaft setzt Männlichkeit mit ständiger Potenz gleich»
In ihrer Praxis in Basel stellt Melina Dobroka fest, dass Unlust ein Thema ist, das alle Geschlechter betrifft. Und sie findet: «Der Gedanke, dass es früher umgekehrt war, scheint mir nicht zeitgemäss.»
Vielmehr vermutet sie, dass Unlust bei Männern früher ein noch grösseres Tabu war und deshalb selten darüber gesprochen wurde.
«Die Gesellschaft setzt Männlichkeit mit ständiger Potenz gleich», stellt die Expertin fest. Darum sind Scham und Druck bei vielen Betroffenen gross.
«Mangelnde Aufklärung und stereotype Männlichkeitsbilder hindern zudem viele daran, ihre sexuelle Unlust zuzugeben.» Darum sei eine Enttabuisierung wichtig – sie ermögliche es vielen Männern, Hilfe anzunehmen.
Es braucht Vorbilder
Wer wie Simon unter seiner sexuellen Unlust leidet, dem rät die Sexologin: «Männer sollten nicht davon ausgehen, dass sie automatisch Lust empfinden müssen, weil das biologisch gegeben ist.»
Erstens erzeugt das automatisch Druck – und zweitens stimmt es nicht. «Sexuelle Lust ist erlernt und muss ‹gepflegt› werden.» Zudem sei das etwas sehr Individuelles.
Wichtig sei es, einen offenen Umgang mit männlicher Unlust zu pflegen, sowohl in der Gesellschaft, als auch in persönlichen Beziehungen. «Vorbilder, die über das Thema sprechen, existieren leider kaum – dabei wäre auch das wichtig.»
So könnte das Stigma um männliche Unlust reduziert werden.
* Name geändert