«Ziel beim Spenden muss sein, sich überflüssig zu machen»

Joël Weber
Joël Weber

Bern,

Wir unterhalten uns mit dem Philosophen Adriano Mannino über die Auswirkungen von Spenden auf die Schweiz und die Welt.

Spenden
Interview mit Adriano Mannino über Spenden. - Adriano Mannino / Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Wir sprechen mit dem Philosophen und Sozialunternehmer Adriano Mannino über Spenden.
  • Der Prozess des Spendens ist sowohl emotional wie auch rational geprägt.
  • Laut Adriano Mannino sind Geldspenden zukunftsorientierter als Güterspenden.

Nau.ch: Sie sind Philosoph und Sozialunternehmer und befassen sich mit ethisch-politischen Fragen. Wann haben Sie das letzte Mal gespendet?

Adriano Mannino: Ich spende jeden Monat einen Anteil meines Einkommens. Meistens sind es 20-30 Prozent, das variiert etwas.

Nau.ch: An wen gehen diese Spenden?

Oft spende ich für Menschenrechte und für Tierrechte beziehungsweise an den Tierschutz. Dabei achte ich darauf, wo meine Spende am meisten bewirken kann. Ich gehe Spenden also durchaus rational an. Ich suche mir Hilfswerke, politische Organisationen oder Forschungseinrichtungen aus, die mit den zusätzlichen Spenden vermutlich am meisten bewirken werden.

Im Tierschutzbereich zum Beispiel kann man sich fragen, wie man den meisten Tieren helfen kann. Hier bietet es sich an, politisch gegen die Massentierhaltung zu Spenden – an ihr leiden jedes Jahr allein in der Schweiz dutzende Millionen Tiere, global sind es hunderte Milliarden. Das ist auch eine Frage der rationalen Berücksichtigung von Opferstatistiken.

Schweizer Geldnoten
Umweltschutz und Tierschutz sind zwei von vielen diversen Bereichen, in die die Schweiz spendet. - keystone

Nau.ch: Sie sprechen von rationalem Spenden. Wie aber spielen unsere Emotionen in den Prozess des Spendens hinein, etwa bei besonders schlimmen Ereignissen?

Während Hungersnöten, Katastrophen und Krisen aller Art spenden Menschen natürlich mehr, weil wir emotional betroffen sind. Allerdings würde ich vorschlagen, den angeblichen Gegensatz zwischen Emotionalität und Rationalität zu überwinden.

Hinter jeder Opferzahl steckt ein leidensfähiges Lebewesen, ob Mensch oder Tier. Wir sollten versuchen, hier jeweils zu «fühldenken». Es braucht beides, Emotion und abstraktes Denken, um Situationen richtig zu erfassen und angemessen zu handeln.

Nau.ch: Wie erkenne ich eine seriöse Hilfsorganisation?

Transparenz ist einer der wichtigsten Pfeiler beim Erkennen einer seriösen Organisation. In einem zweiten Schritt ist die Wirkung zu überprüfen, die mit einer Spende erzielt wird: Wie vielen kann wie viel geholfen werden; wie nachhaltig sind die Massnahmen?

Drittens ist auch immer zu fragen: Wie könnten wir uns irren, was könnte bei den Hilfsmassnahmen schiefgehen und wie hoch wäre das Schadensausmass? Solche Risiken sind zu minimieren. Wenn eine Organisation in diesen Hinsichten gut abschneidet, arbeitet sie verantwortungsbewusst.

Nau.ch: Je nach Hilfswerk ist es möglich, Geld oder auch Sachgüter zu spenden. Empfehlen Sie eine dieser Optionen?

Oft ist es besser, Geld zu spenden. Geld ist eine flexible Ressource und lässt Menschen die Freiheit, selbstbestimmt zu entscheiden, welche Güter für sie am wichtigsten sind. Das kann einen Empowerment-Effekt haben. Sachspenden hingegen haben oft einen gegenteiligen Effekt: Spendet man etwa Nahrungsmittel oder Kleidung, kann dies lokale Märkte zerstören und Fehlanreize setzen.

Es gibt immer Ausnahmen: Bei medizinischen Sachspenden ist diese Gefahr bedeutend geringer. Leider stehen Geldspenden für die ärmsten Länder gelegentlich auch rassistische Vorurteile im Weg: Die Menschen wüssten das Geld nicht sinnvoll zu investieren, heisst es. Entwicklungsökonomische Studien zeigen aber, dass das genaue Gegenteil der Fall ist.

Geld zum Spenden
Transparenz und Überprüfbarkeit sind wichtige Kriterien für eine seriöse Hilfsorganisation. - pixabay

Nau.ch: Sollten an solche Geldspenden Bedingungen geknüpft werden, um Anreize zu schaffen?

Auf den ersten Blick erscheint dies sinnvoll, der Schein trügt aber. Spenden, an die eine Bedingung geknüpft ist, wirken sich oft schlechter aus als bedingungslose Spenden – auch das haben Studien gezeigt. Komplett verallgemeinern kann man diese Beobachtung allerdings nicht, man muss immer den Einzelfall prüfen. Eine Tendenz in Richtung bedingungsloser Geldspenden ist jedoch deutlich erkennbar.

Nau.ch: Warum ist das so?

Tatsächlich ist dieses Phänomen wissenschaftlich noch nicht geklärt. Manchmal hat es damit zu tun, dass die Menschen misstrauisch werden, wenn das Geld an Bedingungen geknüpft wird. In anderen Fällen geben die Bedingungen vielleicht auch Verwendungsweisen vor, die für Menschen in spezifischen Situationen nicht immer die richtigen sind.

Die hochgelobten Mikrokredite zum Beispiel haben sich in Studien nicht klar als effektiv erwiesen – zur Überraschung vieler Ökonomen. Nicht alle Menschen können sinnvoll unternehmerisch tätig werden, vor allem kurzfristig. Daher ist es oft sicherer und besser, Geld bedingungslos zu spenden.

Diesen Ansatz verfolgt etwa das Hilfswerk GiveDirectly, mit dessen Hilfe man Menschen in den ärmsten Ländern per Handytransfer Geld zusenden kann. Aktuell werden Regionen besonders berücksichtigt, die unter den Folgen der Coronakrise stark zu leiden haben.

Zwei dunkelhäutige Mädchen
Bedingungslose Spenden an Menschen in Not sind laut Adriano Mannino am sinnvollsten. - pixabay

Nau.ch: Sie sprachen jetzt vor allem über das Spenden ins Ausland. Was ist aber mit Spenden in die Schweiz?

Je reicher ein Land ist, desto schwieriger ist es grundsätzlich, mit einer Spende viel zu bewirken. Ökonomisch gesprochen: Geld hat einen abnehmenden Grenznutzen. Hat man einen kosmopolitischen Blick und zählt jeden Menschen grundsätzlich gleich, drängen sich folglich die ärmsten Länder als Spendenempfänger auf.

Gleichzeitig haben wir unseren Mitbürgern, also den Menschen in unserer eigenen Gesellschaft gegenüber besondere Pflichten, denn mit ihnen leben wir in einer besonders engen Kooperationsgemeinschaft. Falls man daher innerhalb der Schweiz spenden möchte, könnte man sich überlegen, das Geld zunächst strategisch zu sparen.

Denn wenn ein reiches Land wie die Schweiz in eine schwere Krise gerät, wie momentan durch das Coronavirus, können Spenden auch hierzulande mehr bewirken. Manche Menschen sind dann ganz besonders auf Unterstützung angewiesen.

Geld spenden Schweiz
Erst sparen, dann spenden. Laut Adriano Mannino kommen Ihre Spenden so am wirkungsvollsten an. - keystone

Nau.ch: Machen Spenden die Welt also zu einem besseren Ort?

Für klug gewählte Geldspenden gilt das definitiv, ja. Man kann es sich auch so überlegen: Gibt es irgendwelche Zeitspenden, zum Beispiel Formen des politischen Engagements, welche die Welt zu einem besseren Ort machen? Diese Frage bejahen eigentlich alle.

Dann muss man aber auch die Frage bejahen, ob es Geldspenden gibt, welche die Welt zu einem besseren Ort machen. Denn die Geldspenden können schlicht an das politische Engagement fliessen, das man befürwortet. Bei alledem gilt es aber nicht zu vergessen, dass das Spenden kein Selbstzweck ist. Das oberste Ziel von Spendern muss es sein, sich selbst möglichst schnell überflüssig zu machen.

Spenden
Adriano Mannino im Gespräch über Spenden. - adrianomannino.com

Zur Person

Adriano Mannino ist Philosoph und Sozialunternehmer. Er stammt aus Bern und lebt in München, wo er das Solon Center for Policy Innovation der Parmenides Stiftung leitet. Zusammen mit Nikil Mukerji hat er beim Reclam Verlag gerade ein Buch zur Corona-Krise publiziert: «Covid-19: Was in der Krise zählt – Über Philosophie in Echtzeit.»

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