Zürcher Orchester zu laut: Musiker leiden an Hörproblemen
Jahrzehntelange Arbeit im Orchester des Opernhauses Zürich führte bei Milena K. zu Hyperakusis. Doch Gehörschutz bleibt in der Branche umstritten.

Das Wichtigste in Kürze
- Orchestermusiker sind oft hohen Lärmpegeln ausgesetzt, vergleichbar mit Grossstadtverkehr.
- Eine Panne im März 2024 führte dazu, dass neun Musiker Hörbeschwerden meldeten.
- Gehörschutz wird nicht konsequent genutzt und die Suva erkennt Lärmschäden nur bedingt an.
Milena K.* leidet an Hyperakusis, einer Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen. Ein normales Gespräch kann bei ihr starke Schmerzen und körperliche Reaktionen wie Herzrasen auslösen.
Ursache ihrer Erkrankung ist die langjährige Arbeit als Musikerin im Orchester des Opernhauses Zürich. Dort war sie zwischen 1985 und 2023 hohen Lärmpegeln ausgesetzt. Dies berichtet die WOZ.
Orchestermusiker sind oft einer Dauerbelastung von 85 bis 95 Dezibel ausgesetzt, vergleichbar mit Grossstadtverkehr. Hinzu kommen plötzliche laute Geräusche wie Paukenschläge oder verstärkte Toneffekte.
Eine Suva-Studie von 2001 hatte bereits auf die Risiken hingewiesen. Dennoch bleibt der Schutz des Gehörs oft zweitrangig.
Nach Panne: Neun Orchestermitglieder mit Hörbeschwerden
Ein Rechtsanwalt des Schweizerischen Musikerverbands betont: «Die Freiheit der Regie geniesst höchsten Stellenwert. Das Bewusstsein für die Gehörbelastung jedoch greift erst nach entsprechenden Vorfällen.»
Ein entscheidendes Erlebnis für K. war der 28. April 2001: Bei der Hauptprobe zu Wagners «Fliegendem Holländer» trieben die lauten Pauken ihren Körper an die Grenze.
Sie wurde krankgeschrieben, kehrte aber zurück ins Orchester.
Die Belastung häufte sich mit weiteren Vorfällen, etwa während «Turandot» oder «Schwanensee». Schliesslich führte eine laute Explosion bei «Barkouf» 2022 zu ihrer vollständigen Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionierung.
Auch andere Musiker sind betroffen. Eine Panne während der Oper «Amerika» im März 2024 verursachte plötzliche laute Geräusche, sodass neun Orchestermitglieder Hörbeschwerden meldeten. Schon zuvor hatte es mehrere Vorfälle gegeben.
Die Suva kontrollierte die Messungen und kam zu dem Schluss, dass die Grenzwerte eingehalten wurden. Die Beschwerden der Musiker seien nicht erklärbar.
Nur zwei Drittel tragen Gehörschutz
Der Gehörschutz bleibt umstritten. «Wer Suva-Schirme wollte und Gehörschutz trug, war angezählt», berichtet K. Ein Drittel der Orchestermusiker sieht Schutzmassnahmen kritisch.
Eine Studie von 2019 ergab, dass nur 66 Prozent der Musiker Schutz tragen, oft erst bei extremer Lautstärke.
Versicherungstechnisch sind Musiker schlecht abgesichert. Die Suva erkennt Lärmbelastung als Berufskrankheit nicht an, da sie keine unmittelbare Schwerhörigkeit verursacht.
K. kämpfte vor Gericht um Anerkennung ihrer Schäden. Letztlich zahlte die Versicherung «ohne Anerkennung einer Rechtspflicht».
Das Opernhaus Zürich steht vor strukturellen Problemen. Der Orchestergraben ist zu klein für grosse Besetzungen, wodurch der Schalldruck steigt. Eine geplante Sanierung soll Arbeitsbedingungen verbessern, doch Lösungen für die Akustik stehen noch aus.
Ein Abriss und Neubau wären denkbar, gelten jedoch als politisch kaum durchsetzbar.
Währenddessen bleibt die Belastung für Musiker bestehen. K.s Anwältin vertritt aktuell acht Betroffene – alle aus dem Orchester des Opernhauses Zürich.
* Name geändert.