Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz, spricht sich für ehrgeizigere Ziele bei den Schweizer Klimamassnahmen aus. Ein Gastbeitrag.
Alexandra Karle Amnesty Schweiz
Alexandra Karle ist seit 2020 Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty International. - Amnesty Schweiz

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Schweiz tue nicht genügend gegen den Klimawandel.
  • Im Parlament werden dazu in den kommenden Tagen problematische Vorstösse behandelt.
  • Zum 9. Oktober muss die Regierung einen Aktionsplan mit Klimaschutzmassnahmen vorlegen.
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Wahre Liebe zeigt sich vor allem durch Taten statt Worte. In seiner jüngsten Stellungnahme zum Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat sich der Bundesrat zwar formell zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bekannt. Mit seiner Weigerung, das EGMR-Urteil zu den KlimaSeniorinnnen ernst zu nehmen, hat er jedoch gleichzeitig den Gerichtshof desavouiert.

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden: Die Schweiz verletzt im Bereich des Klimaschutzes die Menschenrechtskonvention. (Archivbild) - keystone

Das wegweisende Urteil des EGMR fügt sich ein in die international wachsende Rechtsprechung über die Verpflichtungen der Staaten beim Klimaschutz. Diese stützen sich auf den im Pariser Klimaabkommen anerkannten Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten.

Demnach trägt jeder Staat seinen eigenen Anteil an Verantwortung, Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu ergreifen. Statt diesem Prinzip Rechnung zu tragen und sich für ehrgeizigere Klimaschutzmassnahmen einzusetzen, versteift sich die Schweizer Regierung auf die Logik, dass ihre Massnahmen nur ein «Tropfen auf dem heissen Stein» seien – während sie das CO2- und das Stromgesetz als Garanten für ihre angebliche Konformität mit dem europäischen Urteil hochhält.

National- und Ständerat verabschiedeten hochproblematische Erklärung

Mit dieser kurzsichtigen Haltung schwächt der Bundesrat den Kampf gegen den Klimawandel. Gleichzeitig stärkt er die gefährliche Tendenz im Parlament, die europäischen Institutionen zum Schutz der Menschenrechte anzugreifen und zu schwächen.

Im Juni verabschiedeten National- und Ständerat eine hochproblematische Erklärung: Dem Urteil des EGMR sei keine weitere Folge zu leisten; die Schweiz tue bereits genug für den Klimaschutz.

National- und Ständerat
Mehrere Vorstösse im Schweizer Parlament haben eine Schwächung der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Ziel, sagt Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz. (Symbolbild) - sda

Mehrere Vorstösse, die in diesen Tagen im Parlament behandelt werden, haben ebenfalls die EMRK im Visier. Ziel ist die Schwächung des Gerichtshofs oder gar die Kündigung der Menschenrechtskonvention.

Schweiz kann mit gutem Beispiel vorangehen

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind keine fremde Einmischung in die Schweizer Souveränität. Im Gegenteil: Souveränität bedeutet auch die Fähigkeit des Staates, die Grundrechte aller Menschen, die innerhalb seiner Grenzen leben, zu schützen. Durch den Beitritt zur EMRK hat sich die Schweiz zum Schutz der individuellen Freiheiten und Rechte innerhalb ihres Hoheitsgebiets bekannt.

Die Schweiz hat die Mittel, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Sie hat die Möglichkeit, ihrer Bevölkerung und Europa erneut zu versichern, dass die Urteile des Gerichtshofs bindend sind und nicht nach Gusto umgesetzt oder ignoriert werden können.

Bis zum 9. Oktober muss die Regierung dem Ministerkomitee des Europarats einen Aktionsplan mit den Klimaschutzmassnahmen vorlegen, die zur Umsetzung des Urteils des EGMR bereits ergriffen wurden oder geplant sind. Konkret muss der Bundesrat unter anderem aufzeigen, wie die Klimapolitik der Schweiz die Einhaltung der 1,5°C-Grenze ermöglicht.

Macht die Schweiz genügend für den Klimaschutz?

Wir erwarten, dass das Parlament und der Bundesrat für den europäischen Menschenrechtsschutz einstehen und die Misstrauensanträge gegen den EGMR in der aktuellen Parlamentssession vom Tisch fegen.

Zur Autorin: Alexandra Karle ist Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz.

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