Gastbeitrag: Impfen statt schimpfen ist die bessere Strategie
Die Pandemie ist leider noch nicht vorbei. Deshalb braucht es weiterhin Massnahmen und möglichst viele Personen, die sich impfen lassen. Aber weniger Mimimi.
Das Wichtigste in Kürze
- Fast alle Parteien sind für das Covid-Gesetz, doch sie engagieren sich kaum dafür.
- Der Freiheitsimpfler sprang in die Bresche und erhielt im Nu einen grossen Fanclub.
- Nun ruft seine Kollegin, die Freiheitsimpflerin, in 100 Gemeinden zum ja stimmen auf.
- Andreas Kyriacou freut sich im Gastbeitrag über die grosse Unterstützung.
Es waren groteske Szenen in Bern: Personen werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, weil der öffentliche Verkehr eingestellt und Strassen abgesperrt sind. Und die Läden und Restaurants in der Innenstadt, die zum Abendverkauf oder zur Einkehr einladen, sind wegen der aufgestellten Gitter kaum zugänglich. Die Umsätze sind entsprechend im Keller. Und diejenigen, die diese Massnahmen und deren Auswirkungen verursachen, skandieren «Liberté» …
So wichtig das Demonstrationsrecht auch ist, diese totale Selbstbezogenheit der Demotouristen wirkt befremdlich. Kein Wunder, wurden sie, als sie an einem Donnerstag durch das Länggassquartier zogen, von der Quartierbevölkerung mit «Gööt hei»-Rufen begrüsst.
Noch ungemütlicher ist aber, dass an den Demonstrationen immer wieder den Holocaust verharmlosende Parolen zu sehen sind und Personen auf ihren Plakaten davon träumen, Ärzte und Politiker durch Volkstribunale abzuurteilen. Und spätestens ihren Telegram-Kanälen kommunizieren die selbst ernannten Revoluzzer ihre damit verknüpften Gewaltfantasien ungefiltert.
Impfen statt schimpfen – eine Grussbotschaft an die Demotouristen
Die Berner Szenen waren die Geburtsstunde des Freiheitsimpflers. Wir Freidenker wollten uns mit einer Grussbotschaft an die Demonstrierenden richten und ihnen klarmachen, dass sie sich nicht einbilden sollten, die Stadtberner Bevölkerung hätte auf ihre Auftritte gewartet und würde ihr zelebriertes Mimimi beklatschen.
Der Freiheitsimpfler und seine Botschaft «impfen statt schimpfen» erhielten im Nu grossen Zuspruch, und uns erreichten aus zahlreichen Regionen Anfragen, ob wir die Figur nicht auch bei ihnen auftreten lassen könnten.
Der rasche Erfolg des Freiheitsimpflers hat mehrere Gründe: Zum einen können sich viele mit der sympathischen Figur identifizieren, zum anderen war von einer Ja-Kampagne nichts zu spüren. Bis auf die SVP (und ihr Wurmfortsatz EDU) befürworten alle Parteien das Covid-Gesetz. Aber sie hielten und halten sich vornehm zurück. Einzig die SP hat seither eine eigene Plakatkampagne lanciert. Und auch die unzähligen Wirtschaftsverbände, die Ja-Parolen herausgegeben haben, engagieren sich kaum aktiv im Abstimmungskampf.
Wer finanziert die Omnipräsenz der Gegner?
Die Gegner sind derweil auf Plakaten, in Inseraten und in den Briefkästen omnipräsent. Man wundert sich, woher die Mittel für eine Kampagne kommen, die im Minimum einen hohen sechsstelligen Betrag kosten muss. Dass diese, wie bei uns, ausschliesslich aus Kleinspenden gedeckt wird, ist unwahrscheinlich.
Zurück zum Freiheitsimpfler: Auf Social Media wurde im Nu nach Fahnen und anderen Werbemitteln gerufen und auch vorgeschlagen, unserer Figur eine Freiheitsimpflerin zur Seite zu stellen. Unser Grafiker, Thomas Oetjen, hat dies wunschgemäss umgesetzt. Die Freiheitsimpflerin ruft seit dem 8. November in gut 100 Deutschschweizer Gemeinden zum impfen statt schimpfen auf, und dazu, dem Covid-Gesetz zuzustimmen.
Wir sind uns bewusst: Das ist nur ein Klacks im Vergleich zur Werbeflut der Gegner. Aber weil die Ja-Stimmenden anderweitig noch immer kaum vertreten sind, braucht es wenigstens diesen Auftritt der Freiheitsimpflerin. Es soll nicht nur wahrgenommen werden, wer besonders laut ist oder über ein absurd hohes Budget verfügt.
Covid-Massnahmen sind ein notwendiges Übel
Das angepasste Covid-Gesetz ist das Ergebnis einer langen Debatte im National- und im Ständerat und ein Abbild dessen, dass wir alle, Politikerinnen und Politiker eingeschlossen, im Verlauf der Pandemie ständig dazu lernen. Die vorgesehenen Wirtschaftshilfen waren und bleiben wichtig. Aber es hat sich gezeigt, dass insbesondere Kleinunternehmen und selbständig Erwerbende durch die Maschen der ersten Fassung des Covid-Gesetzes fielen.
Ebenso hat sich gezeigt, dass die gesundheitspolitischen Massnahmen, die das Gesetz vorsieht, einen klareren Rahmen benötigen. Deshalb ist es schlicht vernünftig, der Gesetzesanpassung zuzustimmen. Selbstredend soll Bund, Kantonen und Gemeinden weiterhin kritisch auf die Finger geschaut werden, wenn sie Massnahmen treffen oder unterlassen.
Die Pandemie lässt sich nicht an der Urne bekämpfen
Wer aber darauf hofft, man könne die Pandemie mit einem Nein an der Urne zum Verschwinden bringen, unterliegt einer Illusion. Wir sind alle pandemiemüde. Aber nach wie vor gilt: Geeignete Massnahmen helfen mehr als Täubelen auf der Strasse oder in den Social Media.
Und leider brauchen wir vorerst noch immer eine ganze Palette an wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Handlungsmöglichkeiten. Deshalb gilt weiterhin: impfen statt schimpfen – und ein Ja zum aktualisierten Covid-Gesetz am 28. November.
Zum Autor: Andreas Kyriacou ist Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS), Gründer des Wissensfestivals Denkfest und des humanistisch und wissenschaftlich ausgerichteten Sommerlagers Camp Quest sowie NGO-Vertreter am UNO-Menschenrechtsrat.
Die FVS vertritt die Anliegen der nicht religiösen Bevölkerung und setzt sich insbesondere für eine weltlich-humanistische Ethik, die Hochhaltung der Menschenrechte und die Trennung von Staat und Kirche ein.