Gastbeitrag Ronja Jansen: Bei Katar-WM kann Politik nicht schweigen!
Das Wichtigste in Kürze
- Nächsten Sommer findet die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar statt.
- In dem Staat werden «Menschenrechte mit Füssen getreten», sagt JUSO-Chefin Ronja Jansen.
- Deshalb fordert sie, dass die Schweiz nicht an der WM teilnimmt.
Ist Fussball politisch? Viele sagen Nein. Ich meine Ja – allerspätestens dann, wenn Entscheidungen im Sport beginnen, einen massiven Einfluss auf die Aussenwelt auszuüben. Mit der Kommerzialisierung, die der Männer-Profi-Fussball seit Jahren erlebt, sind wir längst an diesem Punkt angelangt.
Profi-Fussball ist ein Ort des Geldes geworden, und damit auch ein Ort der Macht. Die FIFA streicht mit jedem Turnier durch teure Fernsehlizenzen und Vermarktungsrechte Milliarden ein. Grosskonzerne kaufen sich Einfluss und ein glänzendes Image durch millionenschwere Webedeals. Das alles beeinflusst unsere Gesellschaft.
Austragungsortswahl entscheidet über Leben und Tod
Auch Staaten kennen die politische und ökonomische Dimension des Profi-Fussballs nur zu gut: Wer sich um die Austragung eines Turniers bewirbt, nimmt damit oft in Kauf, dass Steuerzahler für teure Stadien aufkommen müssen, und fördert gleichzeitig andere Branchen wie den Tourismus, die damit viel Geld verdienen können.
Solche Entscheidungen im Profi-Fussball haben nichts zu tun mit den Entscheidungen in Pausenhof-Fussball-spielen, die wir aus unserer Kindheit kennen. Dort ging es bei der strategischen Zusammensetzung der Teams höchstens um verletzte freundschaftliche Gefühle. Doch die grossen Entscheidungen der Uefa und der Fifa beeinflussen das Leben von unzähligen Menschen, die mit Fussball nichts am Hut haben.
Bei der Weltmeisterschaft in Katar ist das so deutlich wie kaum je zuvor: Die Weichenstellungen, die die Fifa mit der Wahl des Austragungsortes gestellt hat, entscheiden über Leben und Tod von vielen Menschen.
Weltweite Empörung über WM-Gastgeber
Schon die Vergabe der Gastgeberrolle an den Wüstenstaat hat weltweite Empörung ausgelöst, wegen der mutmasslichen Bestechungsgelder, die dabei geflossen sind, und aus massiven ökologischen und sozialpolitischen Bedenken.
Katar ist ein autoritärer Staat, in dem Menschenrechte seit Jahrzehnten mit Füssen getreten werden, um Frauen- und Queer-Rechte steht es miserabel. So ist Katar einer der wenigen Staaten, in denen Homosexualität mit dem Tode bestraft werden kann.
Auch die Ausbeutung von Arbeitsmigranten in Katar wird seit Jahren kritisiert. Mit den Vorbereitungen für die WM haben sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Die neuen WM-Stadien sind unter Arbeitsbedingungen errichtet worden, die als moderne Sklaverei bezeichnet werden müssen: Ausländische Arbeitende wurden mit Werbekampagnen ins Land gelockt, wo sie der Willkür der Konzerne ausgesetzt sind.
Den Migranten wurden dabei die Pässe abgenommen, sodass eine Ausreise oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes unmöglich waren.
Löhne wurden beim Bau der Stadien oft nicht gezahlt, und die fehlenden Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen haben dazu geführt, dass rund 6500 Menschen beim Bau der Stadien ums Leben gekommen sind. In den letzten Jahren wurden die Arbeitsbedingungen zwar formal verbessert, doch die Durchsetzung dieser Reformen lässt noch immer auf sich warten.
Fussball ist politisch
Für mich ist klar: Hier kann die Politik nicht schweigen, Fussball hin oder her. Die Entscheidung, in Stadien zu spielen, die auf Leichen gebaut sind, ist ein politisches Signal, ob wir es wollen oder nicht. Fussball ist politisch – insbesondere die Sphäre des Männer-Profi-Fussballs wo Geld, Macht und politische Interessen seit Jahren omnipräsent sind.
Die Frage ist, ob wir diese Realität anerkennen, oder ob wir weiter die Augen davor verschliessen und damit schreckliche Handlungen legitimieren.
Die Antwort sollte eigentlich selbstverständlich sein: Wer sich gegen Menschenrechtsverletzungen stellt, muss das auch im Fussball tun. Dies gilt insbesondere für die Schweiz, welche sich die humanitäre Tradition seit Jahrzehnten stolz auf die Fahne schreibt. Grundrechte machen eben nicht halt vor dem Stadionrasen.
JUSO fordert Boykott der WM
Deswegen fordert die JUSO das einzig Konsequente: Einen Boykott der WM durch die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft und einen Verzicht der Übertragung der Spiele durch das Schweizer Fernsehen. Nur so können wir verhindern, dass das dreckige Spiel der Fifa und des katarischen Staates aufgeht. Erst unsere Teilnahme und unsere Fernseh-Lizenzgebühren machen die Menschenrechts-verletzungen profitabel.
Was halten Sie von der WM-Boykott-Forderung?
Ein Boykott der WM durch das Land des Fifa-Hauptsitzes wäre zudem ein starkes Zeichen in die Welt hinaus. Die Schweiz könnte Vorreiterin werden für andere demokratische Länder, welche sich ebenfalls in einem moralischen Dilemma wiederfinden.
Schlussendlich kann die Fifa ihre Machenschaften nur aufrechterhalten, solange die einzelnen Staaten dabei mitspielen.
Boykott würde Zeichen setzen
Dass eine Mehrheit der Länder mitziehen würde, ist zwar leider äusserst unwahrscheinlich, doch mit einem Boykott können wir ein Zeichen setzen, das über den Fussball hinausgeht und die weltweite Einhaltung der Menschenrechte ins Zentrum der politischen Debatte katapultiert.
Diese Diskussion ist in der Schweiz bitter nötig und auch in der restlichen Welt überfällig. Katar ist die Spitze des Eisbergs, und auch alle Menschenrechtsverletzungen unter der sichtbaren Oberfläche müssen genauso scharf kritisiert werden.
Ich habe Verständnis dafür, dass ein Verzicht auf die WM für die Nationalspieler und alle Fans ein grosses Opfer bedeuten würde. Doch wenn wir die Chance haben, die Welt mit Fussball auch jenseits der Stadien zu einem besseren Ort zu machen, sollten wir sie unbedingt nutzen.