Jucker: Wir können uns keine billigen Lebensmittel mehr leisten!
Obstbauer Martin Jucker erklärt in seiner Kolumne, dass nachhaltig produzierte Nahrungsmittel sehr wohl etwas mit deinen Krankenkassenprämien zu tun haben.

Das Wichtigste in Kürze
- Martin Jucker betreibt die bekannte «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
- Auf Nau.ch schreibt Jucker regelmässig Kolumnen.
- Heute schreibt Jucker, wie wichtig gesunde Böden und Pflanzen für die Nahrung sind.
Genügend und vor allem billig verarbeitete Lebensmittel werden als grosse Errungenschaft der Nachkriegszeit gefeiert.
Von über 30 Prozent des Einkommens, die für Lebensmittel ausgegeben wurden, sank der Wert laut Statistik bis 2019 auf 9,8 Prozent. Das ist natürlich ein Grund zum Feiern. Dank dieser Entwicklung bleibt viel mehr Geld für andere Dinge übrig.
Genau andersrum sieht es bei den Krankenkassenprämien aus. Diese kennen nur eine Richtung: steil nach oben!
Zusammenhang zwischen Food und Gesundheit
Der Österreicher Martin Grassberger (Professor für Gerichtsmedizin sowie studierter Arzt und Biologe) ist sich sicher, dass zwischen dem, was wir essen, und unserer Gesundheit ein Zusammenhang besteht.
Grassberger schreibt in seinem Buch «Das leise Sterben»: «Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der rücksichtslosen Zerstörung der Natur und den leisen Epidemien chronischer Krankheiten wie Krebs, Parkinson und Diabetes.»
Mit dem Rückgang der Biodiversität geht auch die Vielfalt des Mikrobioms zurück.
Mikro... was?
Laut Wikipedia wird als Mikrobiom «die Gesamtheit aller Mikroorganismen bezeichnet, die ein vielzelliges Lebewesen natürlicherweise besiedeln. Mikrobiome von Lebewesen setzen sich aus Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten zusammen.»
Die Anzahl dieser Lebewesen pro Mensch ist also grösser, als es Menschen auf der Welt gibt. Und jede und jeder von uns hat ein einzigartiges Mikrobiom, das durch Ernährung, Umwelt und Lebensstil beeinflusst wird.
Zucker und künstliche Zusatzstoffe
Jetzt kommen die «billigen» Lebensmittel ins Spiel.
Diese günstig produzierten Fertiggerichte haben oft eine sehr einseitige Zusammensetzung. Sie enthalten viel Zucker, Salz und künstliche Zusatzstoffe sowie Stabilisatoren.
Ein Mensch benötigt Nahrung zum Überleben. Diese Nahrung wird auch vom Mikrobiom aufgenommen und verarbeitet. Je besser die Qualität der Nahrung, desto besser geht es dem Mikrobiom – und somit auch uns.

Wenn wir uns also regelmässig von Fertiggerichten mit wenig Gehalt ernähren, wird das Mikrobiom im Körper verarmen. Das heisst, es hat wenig Vielfalt.
Dieser frei werdende Platz kann dann von schädlichen Viren und Bakterien genutzt werden.
Mikrobiom im Boden
Sie frage sich jetzt vielleicht, was ein Bauer wie ich zu diesem Thema schon zu sagen hat? Nun, auch der Boden hat ein Mikrobiom.
Die oberste Schicht unserer Böden ist die Fruchtbarste, auch Humusschicht genannt. Dort existiert eine ähnlich grosse Vielfalt an Mikroorganismen wie auf und im menschlichen Körper.

Das Mikrobiom im Boden arbeitet eng mit den Pflanzen zusammen, die darauf wachsen. Es bekommt von ihnen, was es braucht (beispielsweise Futter in Form von Wurzelausscheidungen), und gibt den Pflanzen dafür, was sie benötigen zum Gedeihen.
Wir Menschen wiederum essen diese Pflanzen. Und kommen so in direkten Kontakt mit dem Mikrobiom des Bodens.
Stark vereinfacht heisst das: Ein schwaches Mikrobiom im Boden schwächt auch das Mikrobiom im Menschen.
Produktion auf Effizienz getrimmt
Billige Lebensmittel benötigen billig produzierte Rohstoffe. Diese werden in einer Landwirtschaft produziert, die auf maximale Effizienz gedrillt ist.
Dazu werden Pestizide und Kunstdünger eingesetzt und die Pflanzen wachsen in einfach zu bewirtschaftenden Monokulturen.
Dass Pestizide das Mikrobiom schädigen können, ist unbestreitbar. Denn: Viele von ihnen wurden genau dafür entwickelt, um Insekten, Pilze oder Bakterien zu töten.
Kunstdünger ist für die Pflanzen wie eine Droge: Er macht es ihr sehr einfach, an die nötigen Nährstoffe für ein schnelles Wachstum zu gelangen.
Die Pflanze braucht dabei keine Ausscheidungen für die Mikroorganismen mehr zu tätigen, weil sie deren Gegenleistung nicht mehr braucht. Das alles führt zu einer Verarmung des Mikrobioms im Boden.
Was können wir tun?
Wir können anfangen, unser Mikrobiom zu pflegen. Unsere Ernährung bestimmt in weiten Teilen, wie sich dieses entwickelt, wie stark und vielfältig es ist.

Es macht daher Sinn, sich vielseitig und ausgewogen zu ernähren. Und viele frische, regionale und saisonale Lebensmittel zu geniessen. Am besten aus biologischer oder regenerativer Landwirtschaft. Besonders letztere fokussiert sich auf die Pflege des Mikrobioms im Boden.
Auf gesunden Böden wachsen gesunde Pflanzen, aus denen gesunde Lebensmittel hergestellt werden können.
Du hast es sicher bemerkt, dass diese Art von Landwirtschaft nicht maximal arbeitseffizient ist. Und man viele Extrameilen gehen muss. Die daraus entstehenden Lebensmittel sind teurer.
Meine These ist: Geben wir alle etwas mehr Geld für regionale, saisonale und nachhaltig produzierte Nahrungsmittel aus, sparen wir längerfristig doppelt bei den Krankenkassenprämien.
Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.