Kamala Harris ist grossartig – auch als Kinderlose!
Kamala Harris wird als biologisch kinderfreie Frau auf niveauloseste Weise kritisiert, schreibt Autorin Verena Brunschweiger in der Kolumne.
Das Wichtigste in Kürze
- Die deutsche Autorin Verena Brunschweiger ist «kinderfrei».
- Auf Nau.ch schreibt Brunschweiger regelmässig Kolumnen.
Das Mutterverdienstkreuz ist in den meisten Köpfen noch sehr präsent. Und was viel schlimmer ist – es wird aktuell auch noch gehypt.
Da freute man sich, dass Angela Merkel, ehemalige deutsche Bundeskanzlerin, dazu beitrug, kinderfreie Frauen ein wenig von ihrem Stigma zu befreien. Aber diese Freude währte nicht lang. Zumal die Kritik an Merkels Nicht-Mutterschaft ja sowieso nie ganz verstummt war …
Leistung reicht bei Frauen nicht
Dem aktuellen Bundeskanzler Olaf Scholz wirft man natürlich nicht vor, dass er kein Vater ist. Denn wie wir wissen, sind Männer auch als eigenständige Persönlichkeiten ernst zu nehmen, was für Frauen nur eingeschränkt zu gelten scheint.
Frauen müssen auch im Jahr 2024 unbedingt nach Kriterien wie Frisur, gottgefällige Benutzung der Eierstöcke oder Kosten für Visagisten beurteilt werden. Es reicht einfach nicht, sich auf ihre Leistungen zum Beispiel als Politikerinnen zu konzentrieren, wie man das bei Männern ganz selbstverständlich tut.
Viel Sexismus gegenüber Kamala Harris
Bestes Beispiel dafür ist Kamala Harris in den USA. Ja, ein paar Journalisten schreiben über den Rassismus, den sie erlebt. Oder allgemein über den Sexismus, der nicht nur in den Kommentarspalten blüht, sondern auch von konservativen Gegnern wie Senator J.D. Vance (Trumps Wunsch-Vize, der Harris als verrückte Katzen-Frau bezeichnete) an den Tag gelegt wird.
Worauf man die Leute hinweisen muss, ist, dass Kamala Harris auch als biologisch kinderfreie Frau auf niveauloseste Weise kritisiert wird. Dabei gibt es Leute, die sie gerade deswegen toll finden. Als echte Feministin, die nicht zur Überbevölkerung beitrug – und nicht einem unschuldigen neuen Menschen diese Welt zumutete.
Kamala muss den Kinderfan spielen
Selbstverständlich muss betont werden, dass Harris doch «trotzdem» super wäre, mit Kindern. Dass sie als Stiefmutter, Tante et cetera vorbildlich auftrete, als wäre es nicht in Ordnung, als Frau diese einengende, degradierende Kinderkacke endlich mal von sich zu weisen!
An alle Biologisten: Es ist nicht in der DNA von Frauen verankert, beim Anblick von Babys in laute Entzückensschreie auszubrechen.
Wer gewählt werden will, muss logischerweise Breeder Pleasing («Eltern schmeicheln») betreiben, da wir leider nicht in Südkorea sind, wo bereits etwas über 50 Prozent der jungen Paare kinderfrei bleiben wollen.
Also muss auch Harris den Kinderfan spielen. Selbst, wenn sie es nicht sein sollte.
Eine Schande für Europa 2024
Aber Frauen, die nicht auf Wählerstimmen angewiesen sind, die keine Angst davor haben, sich unbeliebt zu machen, die können und werden, aller primitiven Hater zum Trotz, darauf hinweisen, dass es Frauen gibt, deren Erfüllung nicht in vollen Windeln liegt. Frauen, die sich für anspruchsvollere Themen begeistern. Das, was Männern prinzipiell zugestanden wird, und wofür Frauen aber immer noch kämpfen müssen. Das ist eine Schande für Europa 2024.
Viel mehr Kritik für kinderfreie Frauen
Aber nicht nur für Europa übrigens. Glücksforscher Prof. Paul Dolan wies in seinem Buch «Happy Ever After» darauf hin, dass Frauen weltweit im Schnitt doppelt so sehr für ihr kinderfreies Leben kritisiert werden als Männer.
Die sozialen Sanktionen gegen kinderfreie Leute bringen Dolan, selber Vater, auf die Palme. Er schreibt, dass Regierungen, Institutionen und Individuen zusammenarbeiten sollten, um das kinderfreie Leben zu promoten.
So eine Grösse findet man ausserhalb Grossbritanniens recht selten. Dabei könnte man wie Dolan schon auch in anderen Ländern feststellen, dass kinderfreie Menschen in der Regel mehr Zeit für Ehrenämter aufwenden und mehr Geld für wohltätige Zwecke spenden.
Ein Dank an Angela Merkel und Kamala Harris
Dank des Aufstiegs rechter Parteien wird es aber wieder salonfähig, kinderfreie Frauen genau dafür zu kritisieren. Statt zu würdigen, dass sie sich nicht patriarchalen Vorgaben beugten, nur um einen weiteren oder mehrere verwöhnte Ressourcenverbraucher zu erschaffen.
In einer Zeit, in der der Weltüberlastungstag der Schweiz beispielsweise schon am 27. Mai war (heisst: Alle für 2024 dem Land zur Verfügung stehenden Ressourcen waren schon über ein halbes Jahr zu früh verbraucht!), sollte das mit Dank und Anerkennung vergolten werden. Statt, wie von rechten Maskulinisten vorgelebt, mit dem Gegenteil.
In diesem Sinne: Danke, Angela Merkel, danke, Kamala Harris!
Zur Person: Dr. Verena E. Brunschweiger, Autorin, Aktivistin und Feministin, studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Regensburg. 2019 schlug ihr Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» ein und errang internationale Beachtung.